Im Getöse um die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ droht übersehen zu werden, dass viele der aufkeimenden Probleme in unserem Land mit Angst zu tun haben. Angst vor Stellenverlust, Lohneinbusse, Wohlstandsverlust. Angst, im Stau stecken zu bleiben oder im Pendlerzug keinen Platz mehr zu finden. Angst, dass die grüne Wiese vor seinem Wohnzimmer auch noch überbaut wird. Neuerdings wird gar die Angst geschürt, Schweizerinnen und Schweizer wären bald einmal in der Minderheit im eigenen Land. Die erfolgreiche Bewirtschaftung der Angst hat Hochkonjunktur und verspricht Erfolg an der Urne.
Diese Strategie ist am aufsehenerregendsten, wenn unermüdlich zum Kampf aufgerufen wird: Gegen die EU mit ihren fremden Vögten auf der Kavallerie, die schon an unserer Grenze stehen. Gegen den Bundesrat, der unser Land verrät. Gegen die „classe politique“, überhaupt - gegen die da oben. Leider schleichen sich damit auch die falschen Bilder auf leisen Sohlen in die Köpfe vieler Schweizerinnen und Schweizer. Die alten Mythen werden gefestigt. Der Gesslerhut in Altdorf auf der Stange, das Alpen-Reduit, „das Boot ist voll“. Doch Mythen sind Märchen. Sie lenken unser Denken in die falsche Richtung. Nach rückwärts in die Vergangenheit. Ich gedenke in der Zukunft zu leben, meinte einst Albert Einstein.
Vor lauter Angstszenarien geht vergessen, dass viele unserer Probleme hausgemacht sind. Wir reagieren nur noch auf Druck von aussen. Die überfällige Regierungsreform in Bern steckt seit über 20 Jahren festgefahren. Unsere Kantonsstrukturen kommen sich gegenseitig ins Gehege. Autonome Gemeinden, die schon längst nicht mehr sinnvoll geführt werden können, wehren sich gegen Fusionen.
Es würde unserem Land gut anstehen, die eigene Zukunft offen, dynamisch und konstruktiv zu planen. Unsere politischen Strukturen, die nach 160 Jahren (Napoleon!) viel Rost angesetzt haben, zu sanieren. Den liberalen Geist der Gründerväter mit visionären Zielsetzungen für unser Land als Vorbild zu nehmen. Denn der Kampf gegen eingebildete Feinde ist unergiebig. Kooperationen unter Freunden versprechen mehr Erfolg.
Wie wäre es mit der Gründung eines Think Tanks „Too small to fail“ im Herzen Europas als offensive und kreative Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung? Liberale Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Hochschulen (z.B. VIMENTIS + foraus) und Wissenschaft hätten darin nachhaltige politische Modelle und Szenarien für unser Land zu entwerfen. Aus dem Sonderfall in den Alpen könnte sich so ein moderner, zeitgemässer und dynamischer Kleinstaat entwickeln. Die Kosten für diese Zukunftsinvestition dürften, das ist nur ein Vorschlag, freiwillig durch die Grossbanken übernommen werden.
Bedenkenswert? Visionär? Revolutionär? Die nächste Reform der Schweiz wird keine dogmatische, keine kriegerische und schon gar keine von der Kanzel herab sein. Bürgerinnen und Bürger werden ihr zustimmen, sobald sie deren Vorteile erkennen.