Der Bauernverband und dessen treue Lobby gegen die Bevölkerung
Die ewig gestrigen Damen und Herren aus SVP, Mitte und FDP «did it again». Sie blockierten den sorgfältig ausgehandelten Reformvorschlag, der zum Ziel hatte, den ökologischen Fussabdruck unserer Landwirtschaft zu reduzieren. Die FDP spielte das Zünglein an der Waage. Ihre Mitglieder (Ziel der FDP-Agrarpolitik: «…die Stärkung der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Produktion…») unterstützten den Kahlschlag, was Kathrin Bertschy (GLP) zur Bemerkung veranlasste «Wir subventionieren unsere eigene Umweltzerstörung».
Warum Kuhhandel? Der Bauernverband hatte seinerzeit die Nein-Parole zur Konzernverantwortungsinitiative gefasst unter der Bedingung, dass die FDP im Gegenzug mithelfen würde, die Agrarreform AP22 abzulehnen. Diese «Päckli-Kuhhändel» haben leider im Parlament eine lange Tradition und verhelfen immer wieder eigentlich chancenlosen Anliegen zum Durchbruch. Nicht zum Vorteil des Landes.
Eine Auslegeordnung
In den letzten Jahren sind in ganz Europa Probleme virulent geworden: Die Landwirtschaft vergiftet Böden und Wasser, sie wirkt nicht nachhaltig und schadet dem Klima («Die Landwirtschaft emittiert gleich viele Treibhausgase wie der Flugverkehr» (NZZ), sie ist hauptverantwortlich für den drastischen Rückgang der Artenvielfalt und das Bienensterben. Gleichzeitig kostet sie der Bevölkerung Millionen an Subventionen, diese widersprechen zum Teil den internationalen Klimarichtlinien diametral.
Während in der Schweiz die Anforderungen der Bevölkerung, diverser Organisationen und Denkfabriken einerseits und die reale Situation in der Landwirtschaft andererseits seit Jahren auseinanderdriften, tobt in der EU ein erbitterter Streit zwischen den verantwortlichen Kommissionen und den Bauern um die längst überfällige Reform der Subventionen. Auch in England laufen die Subventions-Diskussionen nach dem Brexit heiss: Gute Argumente sprechen für die Abkehr von staatlicher Subventionierung der Landwirtschaft überhaupt. Warum die Erhitzung der Gemüter?
Hier das Verharren in der Vergangenheit, dort der Blick in die Zukunft
Bauern prägen seit Jahrhunderten das Landschaftsbild. Weidende Kühe, herumtollende Kälber, Kornfelder und Zuckerrübenäcker, einfach schön! Der Beruf ist das Paradebeispiel einer Generationenabfolge: Der Sohn übernimmt vom Vater, der seinerzeit das Gleiche tat wie sein Grossvater. Sie alle sind bodenverhaftet, konservativ und hart arbeitend. Gehen wir weit genug zurück in den Genealogien waren ja alle unserer Vorfahren letztlich Bauern.
Dieses «Bauerngen» ist wohl auch der Grund, weshalb die Bevölkerung dem Bauernstand sehr viel Sympathie entgegenbringt. In unserem Land werden jedes Jahr Nachtragskredite für den Landwirtschaftssektor bewilligt – ohne kritisch hinterfragt zu sein. Ohne Murren akzeptieren wir, dass uns diese Bauernpolitik – während Sie diesen Artikel lesen – 750'000 Franken gekostet hat. 17 Millionen Franken täglich. Von den Steuerzahlenden berappt.
Diese «traditionelle» Bauernpolitik – strategisch erfolgreich in Bern verteidigt (siehe oben) – ignoriert schlicht den Wandel der Zeit. Die jährlich «investierten» Bundesmittel und Grenzschutz-Aufschläge zum Schutz einheimischer Landwirtschaft belaufen sich auf 7,5 Milliarden (7'500'000'000) Franken ohne Berücksichtigung indirekter Kosten (siehe Abschnitt «Eine Agrarpolitik mit Zukunft»). Diese Politik erhält eine vergangenheitsverklärte Denkrichtung am Leben, das sogenannt alte Denken. Dies verstellt den Blick auf den rasanten weltweiten Wandel auch in dieser Branche. Seit einigen Jahren zeichnen sich gewaltige Umwälzungen am Horizont ab, welche die Produktion, den Marktwert und die Kundenakzeptanz drastisch verändern werden. Dieses neue Denken beruht nicht mehr auf Tradition, Subvention und Rechtfertigung (z.B. «Selbstversorgung»), sondern auf Pioniergeist, Anbauinnovationen, veränderten Marktbedürfnissen und neuen Ernährungserkenntnissen.
2021: Wann kommt das grosse Erwachen?
Ein Blick in die Zukunft würde genügen, um am Horizont jene Zeichen des aufkommenden Sturms zu entdecken: Es sind die drohenden Wolken, in denen sich neue Ernährungsgewohnheiten (rückläufiger Fleischkonsum), innovative Produktionsformen (Ersatzmilch aus Hafer), verändertes Umweltbewusstsein (verstärkter Artenschutz), achtsames Gesundheitswesen (Vermeidung von kontaminiertem Grund- und Trinkwasser) verstecken. Langsam schieben sich die Wolken näher an unsere friedlich vor sich her produzierende Landwirtschaft.
Wann kommt das grosse Erwachen? Wann realisieren die für eine enkelgerechte, zukünftige Politik verantwortlichen Damen und Herren, dass die Devise «so weiter wie immer» ins Fiasko führt? Dass die strategische Planung der schweizerischen Landwirtschaftspolitik nicht darin bestehen kann, mit ständig steigenden Steuergeldern den Status des «das war immer so» zu verewigen? Dass der Bauernverband unter der Leitung des rührigen, «erfolgreichen» Markus Ritter den hart und zuverlässig arbeitenden Bäuerinnen und Bauern einen Bärendienst erweist, wenn er die Wünsche der Konsument*innen und die Anzeichen des «Epochenwandels» auf dem Lebensmittelmarkt ignoriert?
Schrieb da kürzlich die NZZ «Das Reich Ritters – Bauernpräsident Markus Ritter ist fromm und mächtig – er gewinnt Schlacht um Schlacht für die Schweizer Bauern». Ist 2021 das Jahr, in dem es nicht mehr um «Schlachten gewinnen», sondern um «Zukunftsinnovationen vorantreiben»? In dem man der Schweizer Bevölkerung nicht mehr weis machen kann «warum Schweizer Fleisch nachhaltiger ist» (SonntagsZeitung). 2021 – das Jahr des Perspektivenwechsels?
Helvetische Mythenpflege
Viele protektionistische Massnahmen werden damit begründet, dass durch offenere Grenzen und Freihandel unsere Selbstversorgung gefährdet werde. Tatsache ist, dass diese beschworene «Selbstversorgung» völlig abhängig ist von importierten Fahrzeugen, Maschinen, Pflanzenschutzmitteln, von importierter Energie (Treibstoff) und – am augenfälligsten – von importiertem Futtermittel, Saatgut, Düngermaterial. Längst ist ja die frühere Idee, dass ein Bauernhof nur so viele Tiere halten sollte, wie aus eigenem Boden ernährt werden könne, durch den Trend nach Rentabilität durch Grössenwachstum verschwunden.
Diese Entwicklung führt direkt zu Mythos 2: «Schweizer Bauern schonen die Umwelt und produzieren tierfreundlich – das hat seinen Preis». Tatsache ist, dass die Integrierte Produktion (IP), nach deren Richtlinien die grosse Mehrheit der Schweizer Bauern produziert, nicht als umweltschonend bezeichnet werden kann. Nitrat (aus Ackerflächen) belastet das Grundwasser, erhöhte Phosphorgehalte in Oberflächengewässern schmälern die Wasserqualität, die Anreicherung der Böden mit Schwermetallen ist hoch problematisch. Ammoniakemissionen stammen zu über 90%, Treibhausgase (Methan und Lachgas) zu über 10% aus der Landwirtschaft.
Vergiftetes Trinkwasser, gefährdete Biodiversität
Die seit kurzem in den Blickpunkt geratenen giftigen Pflanzenschutzmittel, die unser Trinkwasser belasten, sollen zwar (irgendwann) verboten werden. Auch hier ist den Bauern kein Vorwurf zu machen: Sie verwenden Produkte, die vom Bund zugelassen sind. Erst auf Druck des Auslands haben sich unsere Behörden zu einem Verbot von Chlorothalonil durchgerungen, einem Produkt, das zuvor während 20 Jahren als «unbedenklich» galt.
Einlullender Subventionsregen
Wir sollten aufwachen. Die Landwirtschaft braucht die Landschaft, nicht umgekehrt. Der Subventionsregen, der täglich über Äcker und Wiesen niederprasselt, verhindert die längst überfällige Strukturbereinigung. Er dient vielmehr der vergangenheitsverklärten Besitzstandwahrung einer kleinen Minderheit. Ein Teil dieser Mittel wäre als Investition in die Zukunft (z.B. Bildung, erneuerbare Energien) sinnvoller eingesetzt.
17 Millionen Franken täglich (3/4 Millionen pro Stunde) kostet uns also die Schweizerische Landwirtschaft. Bauernschlaue Politiker und gewiefte Lobbyisten blockieren seit Jahrzehnten Reformen, die diesen Namen verdienen. Darunter leidet auch unsere Exportwirtschaft – die diesen Unsinn gezwungenermassen mitfinanziert.
Die gleichen politischen Kreise, die unentwegt nach weniger staatlicher Regulierung, mehr Eigenverantwortung, tieferen Steuern, Abbau von Subventionen und rigoroser Ausgabenbremse rufen, handeln – wenn es um ihre Stammwählerschaft, die Bauern, geht – gegenteilig. Diese Scheinheiligkeit hat System, ist aber weder eine schweizerische Tugend noch zukunftskompatibel. SVP, Mitte (ehemalige CVP) und FDP sind dafür hauptverantwortlich.
Neue Lösungen, neue Wege, neue Innovationen
Das Zeit-Magazin berichtete im Dezember 2020 von Benedikt Bösel, der auf seiner Farm in Brandenburg mit verschiedenen Experimenten nach der Formel für eine umwelt- und klimafreundliche Landwirtschaft sucht. Sie soll die Artenvielfalt schonen, aber zugleich gute Erträge abwerfen. Er nennt seine Vision Beyond Farming und meint: «Die Frage der Landnutzung ist die grösste gesellschaftliche Herausforderung der Gegenwart. Klimawandel, sinkende Nährstoffdichte in der Nahrung, Artenverlust, Wasserknappheit – alles hängt unmittelbar damit zusammen, wie wir Landwirtschaft betreiben».
Die Landwirtschaft von Grund aus neu denken will der Startup Growcer (Growcer – Vertical Farming) aus Basel. «Vertical farming» (Handelszeitung) heisst hier die Devise, die Schlüsseltechnologie besteht aus Pflanzen - z.B. Kräuter, Blattgemüse, Erdbeeren – die durch Roboter auf mehreren übereinander gestapelten Ebenen, in kontrolliertem Klima gezogen werden. Die Energie stammt aus eigener Solaranlage. Die Idee von «Vertical Farming», in Japan seit 20 Jahren angewendet, basiert auf Feldern, die nicht draussen, sondern in automatisierten Indoor-Anlagen in die Höhe wachsen.
Weitere Beispiele lieferte Simon Koch, CEO von Swiss Startup Factory in Zürich.
Swiss Startup Factory ist ein Venture Builder für Unternehmen und Startups, um die besten neuen Technologien zu entwickeln und beschleunigen. Die Firma bietet eine professionelle Ausführungsplattform und einen dedizierten geschäftsorientierten Prozess, der Innovationen schnell, schlank und agil auf den Markt bringt.
Auch der Züricher Startup Yasai (Yasai Vertical Farming) will mit der Idee des vertikalen Gemüseanbaus punkten. Yasai heisst Gemüse auf Japanisch, denn aus Japan stammt die Idee dieser Produktionsart und bereits kostendeckend betrieben wird. Motivation ist nicht nur die nachhaltige Ausrichtung, sondern auch die ambitiöse Idee, mitzuhelfen, das Welternährungsproblem zu lösen.
Den wachsenden Konsum von Veganer*innen und Vegetarier*innen zu bedienen ist das ambitionierte Unterfangen des Schweden Toni Petersson. «Oatly» heisst seine Firma, altbekannt, aber mit neuen Innovationen auf der Überholspur. Milchersatz heisst die Zauberformel, Hafer, Soja, Mandeln und andere Pflanzen sind die verarbeiteten Materialien. Was heute zählt: damit weist er eine deutlich bessere Klimabilanz auf als mit dem Original von der Kuh. Seit bald zehn Jahren verzeichnet er mit solchen pflanzlichen Ersatzprodukten traumhafte Zuwachsraten.
Eine Agrarpolitik mit Zukunft
Längst liegen Strategien vor, wie unsere Landwirtschaft erfolgversprechend in die Zukunft geführt werden könnte. Eine solche Ideensammlung wurde z.B. schon 2018 von avenir-suisse publiziert, die gleichzeitig auflistete, dass sich die gesamten Kosten des Schweizer Agrarkomplexes in Wahrheit auf rund 20 Mrd. Franken beliefen. Dabei wurde das Verkaufspreisniveau (178% des EU-28-Durchschnitts) mitberücksichtigt.
2019 doppelte economiesuisse mit der Publikation «Agrarpolitik einfach erklärt» (Nr. 06/2019 vom 11.2.2019) nach und zeigte u.a. wie viel uns die landwirtschaftlichen Beiträge kosten, aufgeschlüsselt in Kulturland-, Versorgungssicherheits-, Biodiversitäts-, Landschaftsqualitäts-, Produktionssystem-, Ressourceneffizienz- und Übergangsbeiträge (!).
Neu denken ohne Vernebelungstaktik
In diesem Beitrag kritisiere ich unsere Landwirtschaftspolitik, insbesondere den Bauernverband und dessen Präsidenten Markus Ritter für ihre falsche, strategische Ausrichtung. Gleichzeitig zeige ich mit meinem Perspektivenwechsel Fokus Zukunft einige kommende neue Trends auf, die Konsumentenbedürfnisse, marktnahe Kundenbefriedigung, Vermeidung von Klimaschäden, nachhaltiges Wirtschaften und Kostenersparnisse berücksichtigen.