Laut einer Umfrage des gfs.bern vom Mai 2022 sind höhere Kosten sowie Einschränkungen beim Klima- und Umweltschutz und bei den Beschwerderechten zu akzeptieren. Genauer: Zwei Drittel der Bevölkerung sind für deutliche Abstriche beim Umweltschutz, gar 70 Prozent für Einschränkungen des Beschwerderechtes (Neue Zürcher Zeitung – NZZ). Fossile Energien und neue Kernkraftwerke finden keine Mehrheiten.
Falscher Fokus
Während bei der Diskussion um die Schweizer Energiezukunft argumentiert, bewiesen, gekontert und gestritten wird, bleibt weiterhin ein Aspekt der Problematik ignoriert. Strom sparen! (Siehe dazu auch den letzten Abschnitt dieses Beitrags.) Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE steht hier in der Pflicht: Es gehört zu einer umfassenden und nachhaltigen Behandlung der Thematik, dass unsere EWs auch einmal darüber detailliert informieren, wie, wann, wo und warum wir alle viel Strom sparen könnten.
Einen Aufruf in die gute Richtung hat «Energie Schweiz», das Bundesamt für Energie im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK gemacht. In Zusammenarbeit mit Commercial Publishing hat es im Magazin des Tages-Anzeigers im Beitrag «Wir sind Zukunft» einige Verhaltensänderungen publiziert, um im Alltag Energie und Kosten zu sparen. Es sind allerdings eher banale Hinweise, die schon seit Jahrzehnten gelten. Jetzt wäre es dringend nötig – infolge des Wegfalls der Bilateralen und angesichts des Ukrainekrieges –, mit angepassten Warnrufen und neuen Aspekten auf die völlig neue Situation zu reagieren.
Unsere Schützer der Natur stemmen sich bei vielen Aus- und Neubauprojekten zur Energiegewinnung aus Wasser und Sonne gegen diese Vorhaben. Sie haben aus ihrer Sicht viele gute Argumente, doch stellt sich die Frage, ob diese ganzheitlich betrachtet nicht für einmal ins zweite Glied zurückzutreten hätten. Alle diese Projekte wären gleichzeitig im Kampf gegen den Klimawandel vorrangig. Vergessen wir nicht, dass die Klimaerwärmung still und leise – ohne jahrelange Diskussionen zuständiger Behörden und Verbände – unsere Gletscher schmelzen lässt. «Ein Eingriff in die Natur.»
Strom vom Auto zurück in die Steckdose
Der Trend zur Elektromobilität (E-Auto, E-Bike, E-Trottinett) setzt sich unaufhaltsam fort. Noch immer werden Argumente gegen einen Umstieg vom herkömmlichen, mit Benzin oder Diesel angetriebenen Vehikel auf ein E-Auto vorgebracht, die längst widerlegt sind. Dies, obwohl die Gründe dafür, mit Strom zu fahren, vielfältig und erwiesen sind.
Was neu ist, zeichnet sich in den Niederlanden bei einem Feldversuch von Hyundai ab: «Strom vom Auto zurück in die Steckdose – das funktioniert, weist aber noch Tücken auf» (Neue Zürcher Zeitung). «Weil die meisten Autos einen grossen Teil der Zeit ohnehin nur auf dem Parkplatz stehen, sind sie als Ausgleichsspeicher durchaus geeignet (irgendwann hat ja jemand den Begriff ‹Stehmobil› geprägt).»
Beim «Vehicle-to-Grid»-System (muss allerdings vom Hersteller im Auto eingebaut sein) können die Batterien, dank ihrer Grösse, dazu verwendet werden, überschüssige Energie aus dem Netz vorübergehend zu speichern. Das Auto wird damit zu einer Art beweglicher Stromreserve. Dazu weiter die NZZ: «Wenn sich elektrische Autos durchsetzen, könnten Autos auf Schweizer Parkplätzen und Strassen so viel Energie speichern, wie alle Atomkraftwerke des Landes an einem Tag produzieren.»
Treibstoff der Zukunft
«Weltweit werden die Investitionen in grünen Wasserstoff massiv erhöht», schreibt «Renewable Energy» in der Handelszeitung. Zurzeit wird grüner Wasserstoff als Revolution gefeiert, mehrere Öl- und Gasunternehmen auf der ganzen Welt investieren Milliarden in dieses Business. Laut dem globalen Energieforschungs- und Beratungsunternehmen Wood Mackenzie hat sich die prognostizierte Gesamtkapazität der sich in Entwicklung befindenden grünen Wasserstoffprojekte in nur einem Jahr von 3,2 Gigawatt auf über 15 Gigawatt mehr als vervierfacht.
In der ersten «Powerful Week» in der Schweiz vom 14.–22. Mai 2022 in Luzern rückte diese neue Plattform den klimaneutralen Energieträger ins Zentrum und sprach mit der Konferenz, der Fachmesse und Publikumsveranstaltungen verschiedene Zielgruppen an. «Dabei erhält das Publikum die Möglichkeit, den Wechsel zum alternativen Energieträger Wasserstoff zu erleben und zu verstehen» (NZZ-Verlagsbeilage).
Ob Wasserstoff zukünftig für Verbrennungsmotoren attraktiv sein könnte, wird sich zeigen. Es zeichnet sich ab, dass die Wasserstoff-Brennstoffzelle in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Ein Toyota Mirai der zweiten Generation wird abgebildet – er kann Wasserstoff für bis zu 650 Kilometer Fahrstrecke tanken. Für den mobilen, mit Wasserstoff betriebenen Schnelllader Kyreen liefert Toyota die Brennstoffzellen-Technik. Probefahrten wurden dem interessierten Publikum angeboten.
Die Kläranlage als Schlüsseltechnologie der Energiewende
Power-to-Gas-Kraftwerk wird eine neue Anlage genannt. Wie man das macht – aus der Abwasserreinigung zum CO2-neutralen Biogas zu kommen –, zeigt die erste industrielle Anlage, die in Dietikon im April 2022 eröffnet wurde. «Der Bioreaktor ist zu zwei Dritteln gefüllt mit Klärschlamm aus den beiden nahen Faultürmen. Ein starkes Rührwerk mischt permanent bei einer Temperatur von 60 Grad den Inhalt. Im oberen Drittel sammelt sich Gas» (Neue Zürcher Zeitung). Diese Technologie dürfte in Zukunft eine bedeutende Rolle auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung spielen. Damit wird Abwasser zum begehrten Rohstoff.
«Ohne saisonale Speicherung wird es nicht gehen, die Stromversorgung im Winter zu gewährleisten. Die Schwankungen im Stromnetz, die ausbalanciert werden müssen, und die im Sommer kleinere Stromnachfrage als im Winter – im Vergleich zur deutlich grösseren Solarenergieproduktion im Sommer – dieses Ungleichgewicht muss ausgeglichen werden» (Tages-Anzeiger). Dieses Pilotprojekt wurde von Bund und Kantonen gefördert. Man brauche in Zukunft nicht nur mehr Strom, sondern sei ebenso auf chemische Energieträger angewiesen, meint der Direktor des Bundesamtes für Energie an der Einweihung.
Sinkender Stromverbrauch trotz Wachstum
Die erfreuliche Nachricht zum Thema liefert die Schweizerische Agentur für Energieeffizienz (SAFE). Aus einer neuen Studie zum Stromeffizienz-Potenzial kann gefolgert werden, dass der Stromverbrauch trotz Wachstum sinken könnte (aktuelles S.A.F.E.-PDF-Factsheet: SAFE_FS_Stromeffizienz_d (003).
Dieses Ergebnis berücksichtigt den Mehrverbrauch durch Bevölkerungswachstum, mehr Arbeitsplätze, Gebäudeflächen und elektrische Geräte, neue Gebrauchsgewohnheiten sowie den Ersatz fossiler Energieträger, wie wir lesen.
Ohne Massnahmen würde der Verbrauch von heute 60 Terawattstunden (TWh) auf knapp 72 TWh im Jahr 2035 zunehmen. Dem gegenüber steht das Sparpotenzial durch technischen Fortschritt von rund 26 TWh. Wenn also die Schweiz dieses technische Sparpotenzial ausschöpft, wird sie trotz Wachstumsfaktoren 2035 nur 46 TWh Strom brauchen, also 23 Prozent weniger als heute.
In übersichtlichen Beispielen wird das Sparpotenzial aufgezeigt: für Fernseher, Heizungspumpen, Tumbler, Kühl- und Gefriergeräte, LED-Beleuchtung, Premium-Elektromotoren. Das Stromsparpotenzial 2035 wird auch pro Sektor ausgewiesen: Haushalte, Haustechnik, Bürogeräte, industrielle und gewerbliche Anwendungen, Elektro-Heizungen und -Warmwasser, Elektro-Wärmepumpen, Verkehr. Zum Vergleich des oben erwähnten Sparpotenzials von 26 TWh: Die Jahresproduktion des AKW Mühleberg beträgt 3,0 TWh.
Das Ergebnis: Die Schweiz kann den Stromverbrauch bis 2035 von heute 60 TWh auf 50 TWh reduzieren. Die Entscheidung liegt bei der Politik, auch mit neuen Gesetzen. Und bei uns allen. Wir müssen es einfach machen.