Im unscheinbaren Geschäftshaus in George Town auf Cayman Islands (britisches Überseegebiet) firmieren 18‘000 Briefkastenfirmen. Doch das ist bescheiden. Im Corporate Trust Center in Wilmington, Delaware (USA) sollen in einem einzigen Bürogebäude 6500 Unternehmen und über 200‘000 der insgesamt 620‘000 Briefkastenfirmen „ansässig“ sein. Beide Gebäude gelten als Herzstücke von Steueroasen, auch Steuer(flucht)-Paradiese genannt.
„Steueroptimierung“
Ein Datenleck hat 2014 offenbart, dass auch in Luxemburg (EU) 340 internationale Firmen Steuerdeals ausgehandelt haben, davon 50 Schweizer Unternehmen. Steuervermeidung gehört zum Business – Steuerlücken ermöglichen dies auf legale Weise - noch. Denn der OECD und den G-20-Staaten ist dies ein Dorn im Auge. Sie möchten mit neuen Regulierungen erreichen, dass auch die cleversten dieser Konzerne dort Steuern zu entrichten hätten, wo die Gewinne anfallen, bevor diese weggezaubert, sprich in Steuerparadiese transferiert werden. Der Steuerwettbewerb soll domestiziert werden.
Der Idee, dass auch internationale Konzerne Steuern zu entrichten hätten wie eine Vielzahl ehrlicher Steuerzahler weltweit, ist einiges an Berechtigung abzugewinnen. Denn reicht den Staaten das eingetriebene Steuergeld nicht zur Bewältigung ihrer Aufgaben sind es natürlich eben jene pflichtbewussten Menschen, die zusätzlich belastet werden. Es sei denn, die Staaten verschulden sich mit einer Selbstverständlichkeit, die wir aus dem Mittelmeerraum kennen.
Stellvertretend das Beispiel Apple, des zweifellos genialen IT-Konzerns, der mit dem Verkauf von sozialem Status weltweit suggeriert, dass sich die Besitzer von iProducts von der Masse abheben durch Individualität und Authentizität. Gemäss ZEIT machte der Konzern allein im letzten Quartal 2014 18 Milliarden Dollar Gewinn und bezahlte dafür kaum Steuern. Für Apple heisst das Steuerparadies Irland.
Steuerparadies Schweiz
Die Schweiz als kleine, aber aktive Volkswirtschaft ist sehr darauf angewiesen, im oben geschilderten Steuerwettbewerb mithalten zu können. Doch die immer lauter werdende Kritik aus dem Ausland (OECD, EU, G-20) an einzelnen unserer helvetischen Deals mit ausländischen Firmen zwingt zu einer Revision. Insbesondere die steuerliche Privilegierung deren Erträge von Holding- Domizil- und gemischten Gesellschaften gegenüber für Schweizer Unternehmen geltenden Vorschriften werden kritisiert. Jene (ausländischen) geniessen einen „kantonalen Steuerstatus“.
Stellvertretendes Beispiel: Gemäss NZZ am Sonntag versteuert der amerikanische Baumaschinenkonzern Caterpillar 85% seiner Gewinne aus dem weltweiten Ersatzteil-Verkauf in Genf. Dies stösst den US-Behörden sauer auf, sie bezweifeln, dass diese Praxis nach amerikanischem Recht legal ist. Nach Prüfung der Steuerrechnungen 2007 – 2009 fordert das IRS (US-Steuerbehörde) deshalb von Caterpillar rund eine Milliarde Dollar an Steuer-Nachzahlungen und –Erhöhungen.
Ausgangspunkt der USR III ist also die Abschaffung dieser kantonalen Steuerstatus. „Damit geht ein Wettbewerbsverlust einher, der durch andere, international akzeptierte Massnahmen kompensiert werden soll“, (Eidgenössisches Finanzdepartement EFD). Die Attraktivität des Steuerstandorts Schweiz soll gestärkt und die internationale Akzeptanz wieder hergestellt werden.
Um den Steuerausfall teilweise zu kompensieren, sollen neu u.a. Lizenzerträge (temporäre Lizenzboxen) steuerlich privilegiert werden. Dennoch drohen Mindereinnahmen, die ausgewogen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden verteilt werden sollen. Da stellt sich dann die Frage: wer soll das bezahlen?
Vorschlag des Bundesrats
Nach einer längeren Vernehmlassungsperiode hat der Bundesrat anfangs April 2015 die vorgeschlagenen Eckwerte zur USR III kommuniziert. Wichtigste Neuerung gegenüber der ursprünglichen Idee: Wegfall der vorgesehenen, umstrittenen Kapitalgewinnsteuer, die einiges an Einnahmenkompensation gebracht hätte.
Wiederum stellt sich jetzt die Frage: wer soll das dann bezahlen? Wie hoch wird das Einnahmeloch diesmal sein? Zu präsent sind die Erinnerungen an die USR II von 2008. Als die Steuerausfälle vor der Abstimmung von Bundesrat Rudolf Merz auf 800 Millionen Franken veranschlagt und daraus dann mehrere Milliarden Franken wurden.
Da sich der Status quo so oder so nicht halten lässt – die internationalen Sachzwänge und Sanktionsdrohungen lassen das schlicht nicht zu – wird der Bundesrat diesmal gut beraten sein, wenn er die Folgen dieser Reform III möglichst genau abklären und ehrlich kommunizieren wird. Denn vermutlich wird es wieder zu einer Volksabstimmung kommen. Entscheidend wird dannzumal sein, ob das angekratzte Vertrauen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger inzwischen wieder aufpoliert werden konnte.
Steuerwettbewerb, weltweit gleiche Spiesse?
Berechtigte Frage, vor allem unter Einbezug der Zustände in den eingangs geschilderten, (und vieler anderen) mehr oder weniger exotischen Steuerparadiesen. Die kleine Schweiz lässt sich vergleichsweise leichter unter Druck setzen als Steuervermeidungsoasen in den USA, in Asien und der EU. Google, Apple, Starbucks – und wie sie alle heissen – werden sich nicht, mir nichts, dir nichts, von ihren lukrativen Steuervermeidungspraktiken in der Höhe von Milliarden Dollar jährlich verabschieden, auch wenn die öffentliche Empörung gross ist.
Die Schweiz wird es deshalb nicht leicht haben, eine umfassende Steuerattraktivität für ausländische Konzerne aufrecht zu erhalten. Wissend um das Recht des Stärkeren, wird es zunehmend entscheidend, dass die im Rahmen des Beps (Base Erosion and Profit Shifting) der G-20-Staaten geforderten Verzichte durch innovative, auch neue Vorteile („natürlich aus der Schweiz“) kompensiert werden. Unsere ausgebauten Infrastrukturen, verlässliche Rechtssicherheit, qualitativ hochwertiges Bildungswesen (auch englisch-kompatibel), Vielsprachlichkeit der Arbeitnehmenden, politische Stabilität und eine gewisse Neutralität sind Ansatzpunkte, die weiter entwickelt werden sollen.
Das dicke Dossier Steuerreform III
Anfangs April 2015 hat Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf den Deckel des dicken Dossiers gelüftet und bekannt gegeben, welche Konsequenzen das Departement aus dem Forderungskatalog der Parteien und Kantone gezogen hat. Noch bevor sie die Botschaft in Ruhe gelesen haben, drohen Links und Rechts mit dem Zeigefinger: die SP mit dem Referendum, weil die vorgesehene Kapitalgewinnsteuer wegfallen soll; für die SVP gehen die Massnahmen, um die steuerliche Konkurrenzfähigkeit erhalten zu können, viel zu wenig weit. Wir kennen diese Spielchen seit langem, sie gehören zum Sonderfall Schweiz.
Da kein Weg an der Abschaffung der oben geschilderten Steuerprivilegien für ausländische Holding- und Spezialgesellschaften vorbeiführen wird, stellt sich also die Gretchenfrage, wie die dadurch verursachten Steuerausfälle von Bund und Kantonen kompensiert werden sollen. Eine Möglichkeit, wie oben erwähnt: mit temporären „Lizenzboxen“: Steuerrabatte aus den Erträgen von Patenten sollen per Definition tiefe Besteuerung erlauben. Was in dieser „ Trickkiste“ alles platzhaben soll, ist für die OECD allerdings eine Blackbox und deshalb umstritten. Eine Lösung auf Zeit? Eine zweite Idee: Dividendenbezüger sollen höher besteuert werden.
Die dumpfe Erinnerung an das „merzsche“ Steuerausfalldebakel lässt die Warnglocken läuten. Wie gross werden denn überhaupt diese Mindereinnahmen dereinst sein? Die Schätzungen gehen weit auseinander, die nötigen Kompensations-Aktionen somit natürlich auch. Es dürften über 2 Milliarden Franken sein, Bund und Kantone eingerechnet. Doch dies sind simple Schätzungen. Niemand weiss zurzeit, welchen Einfluss nur schon die Diskussion um Wegfall der Holdingprivilegien auf die strategischen Entscheide der betroffenen Konzernzentralen haben wird. Geschweige denn, welche Reaktionen einmal getroffene Massnahmen auslösen werden. Wird es überhaupt zu den angedrohten Abwanderungen kommen? Kaffeesatzlesen ist angesagt.
Starker Franken
Seit der Frankenaufwertung gelten neue Prioritäten. Die hochmobilen ausländischen Firmen mit Sitz in der Schweiz (oder Ambitionen dazu) brauchen geklärte, verlässliche Standortbestimmungen. Ein Referendum gegen das anvisierte Massnahmenpaket wäre demzufolge Gift im Becher. Eine ehrliche Kommunikation des Bundesrats sollte nicht verschleiern, dass die Folgen dieser Neukonzeption leider nicht genau abschätzbar sind. Vielleicht hilft ihm dabei, dass er dank der rekordtiefen Zinsen für seine Anleihen bei den Emissionsaufpreisen eine glatte Milliarde Franken kassiert. Auch das war nicht vorhersehbar.
Zur Vertrauensbildung zählt auch die Ausschöpfung des Sparpotenzials beim Bund. Nicht nur ein Einstellungsstopp, auch die Streichung nicht unbedingt notwendiger Ausgaben können helfen, das Loch zu stopfen. (Warum eine Autobahn an der Axenstrasse durchboxen, wenn dieses absurde Projekt, nachdem während Jahrzehnten Dutzende von Millionen Franken in den Ausbau der bestehenden Achse investiert wurden, von der Bevölkerung abgelehnt wird?)
Steuererhöhungen für Private sind tabu. Flexibilität, Kreativität und Mut sind gefragt. Und weniger Parteiengezänk.
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