Falsches Ziel, falsche Priorität, falsche Männer, falsche Spätfolgen
Die Zielsetzung war glasklar: Viel, viel, am meisten Geld verdienen. Indem sie auf Risiko spielten, setzten sie auf eine unseriöse Gambler-Mentalität. Es waren ausschliesslich Männer, die sich zu diesem Metier berufen fühlten. Die katastrophalen Spätfolgen dieses Gehabens werden andere auszubaden haben.
Gut zwei Monate nach dem Ende der Credit Suisse – vergleichbar mit einem Erdbeben, bei dem stolze Wahrzeichen der Baukunst innert Sekunden krachend in sich zusammenbrechen – hat sich der mediale Staub über dem Katastrophengebiet verzogen. Die Sicht wird klar, der Trümmerhaufen unübersehbar.
Der Souverän darf vieles nicht wissen
Es geht mir an dieser Stelle nicht um den Beschrieb dieser «Jahrhundertpleite» des einstigen Vorzeige- und Pionierunternehmens. Dieser Aufgabe hat sich die Medienwelt angenommen, die tage-, ja wochenlang in Hunderten von Berichten und Analysen um Aufmerksamkeit respektive Klicks des Publikums kämpfte. Es geht hier um Grundsätzliches, etwa um die Aushebelung des Öffentlichkeitsgesetzes und die Transparenzverweigerung durch Bundesrat, Finanzmarktaufsicht (Finma) und Nationalbank (SNB). Es geht auch um Firmen- und Bonikultur, Personalien, Systemrelevantes, Risikoabwägung, um Notrecht sowie um die Ausschaltung von Parlament und Stimmvolk. Vielleicht machen sich Leserinnen und Leser persönlich Gedanken zu den folgenden Fakts.
Gemäss Entscheid des Bundesrates und der SNB müssen die Steuerzahlenden im Extremfall für das Rettungsrisiko mit 209 Milliarden (209'000'000'000) Franken geradestehen. Die Eigentümer der CS (mit gesetzlich garantierten Aktionärsrechten), das Parlament und erst recht das Stimmvolk hatten bei dieser Entscheidung kein Wort mitzureden. Notrecht machte das möglich, ein Trend, der zu denken gibt im föderalistischen Land, in dem das Stimmvolk über «alles» zu entscheiden hat. Das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ), das «die Transparenz über den Auftrag, die Organisation und die Tätigkeit der Verwaltung fördern soll», wurde kurzerhand ausgehebelt. Gemäss Originaltext «trägt es zur Information der Öffentlichkeit bei, indem es den Zugang zu amtlichen Dokumenten gewährleistet» (admin.ch).
Die CS «too big to fail» – und die neue UBS?
Der neue Besitzer der CS ist die UBS. Die enormen Risiken, die damit automatisch übernommen wurden und die in den letzten Jahren zu immer neuen gigantischen Bussen gegen die CS geführt hatten, liegen somit neu bei der UBS. Wenn die CS nicht – gemäss ursprünglichem Plan des Bundesrates – über die «Too big to fail»-Regulierung gerettet werden konnte, was erwartet uns, sollte die UBS in einen vergleichbaren Abwärtsstrudel geraten?
Personalien, Firmen- und Bonikultur
Die UBS als grösste Schweizer Bank – Aushängeschild des helvetischen Finanzplatzes – wurde zum Zeitpunkt der CS-Übernahme seit 2022 von VR-Präsident Colm Kelleher (Ire) und seit 2020 von CEO Ralph Hamers (Holländer) geleitet.
Letzterer wurde am 5. April 2023 durch Sergio Ermotti (Schweizer) ersetzt. Dieser profilierte sich schon am Tag der Übernahme mit markigen Sprüchen, für die er seit eh bekannt ist: Die UBS sei nicht «too-big-to-fail», sondern «too small to survive» und «nur mit Wachstum hat diese Bank langfristig Erfolg». Da fragen sich nicht wenige: Wachstum als Erfolgsgarant – ist das nicht eine Firmenphilosophie des letzten Jahrhunderts?
32 Milliarden Franken Boni soll die CS in den letzten zehn Jahren ihren Managern und Verwaltungsräten ausbezahlt haben – in einer Periode, in der gleichzeitig 3,2 Milliarden Verlust eingefahren wurde. Ganz nach dem System: Gewinne für sich, Verluste dem Staat. Am Untergang beteiligt waren, wie wiederholt medial vermeldet, Rainer E. Gut, Walter Kielholz, Brady Dougan, Urs Rohner, Tidjane Thiam, Thomas Gottstein, Severin Schwan und Axel Lehmann. Hat da jemand etwas von Verantwortung, von Rückzahlung von Boni gesagt? Bei der Beurteilung dieser Personen geht es um Schuld und Verantwortung. Doch hintergründig und erst im Nachhinein wird sichtbar: Eben diese Männer waren verantwortlich für den akkumulierten Vertrauensverlust, der die CS 2023 in den Untergang trieb.
Die Rolle der Finma, der SNB und des Bundesrates
Die Finma beaufsichtigt und kontrolliert alle Bereiche des schweizerischen Finanzwesens, insbesondere Banken, Versicherungen, Börsen, Effektenhändler sowie kollektive Kapitalanlagen und Prüfgesellschaften. Warum schaute sie während Jahren den Eskapaden der CS zu? Gemäss zwei Informanten, die mit der Sache vertraut sind, schrieb die Sonntags-Zeitung im April 2023: «Fakt ist, die Finma hat im Oktober 2022 mit ihrer Sturheit die Rettung der CS verhindert
Galt einst die Regel, dass die SNB Geld nur gegen Sicherheiten vergibt, so ist dieser Grundsatz offensichtlich über Bord geworfen worden. Auch der im Nationalbankgesetz festgehaltene Grundsatz, wonach die SNB weder vom Bundesrat noch vom Parlament (und schon gar nicht vom Ausland) Weisungen entgegennehmen darf, muss hinterfragt werden, hat eben dieser Bundesrat die Unabhängigkeit der SNB nicht nur beschnitten, sondern ihr auch einen geldpolitischen Tabubruch aufgezwungen. Dafür kennt die Schweiz ja das Notrecht, mit dem alles plötzlich legitim wird. Zwanzigmal hat der Bundesrat in den letzten Jahren mit dem Notrecht das Stimmvolk und das Parlament entmachtet, rufen die «Verfassungsfreunde» in Erinnerung. Was es jetzt dringend braucht: eine PUK, die Licht in die Aktivitäten und Nichtaktivitäten rund um die traurige CS-Geschichte bringt. Der Souverän hat einen Anspruch auf unverfälschte Information.
Noch ein Wort zum Bundesrat. Die zuständige Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatte es in jenen Tagen nicht leicht. Unter grossem Zeitdruck musste sie entscheiden, war doch die CS von enormen Geldabflüssen betroffen und stand unmittelbar vor dem Kollaps. Sie verdient Respekt dafür, wie sie mit dieser heiklen Situation umgegangen ist.
Andererseits darf darüber nachgedacht werden, wie sich der Bundesrat in Zusammenhang mit anderen wichtigen Problemen monatelang, ja jahrelang Zeit nimmt, ohne zu entscheiden, ohne Managementqualitäten erkennen zu lassen, ohne das Land richtungsweisend zu führen.
By the way
Wer Veränderungen nicht rechtzeitig erkennt, gerät in Schieflage. Diese alte Erkenntnis gilt nicht nur für Grossbanken, sondern auch für die Schweizer Politik, die seit Jahren dringende Reformvorhaben diskutiert, verzögert, verschiebt. Die Arroganz der CS-Führung (statt sich für Fehler zu entschuldigen) ist vergleichbar mit der Nonchalance von Parteipräsidenten und -präsidentinnen, die gar nicht daran denken, sich dafür zu entschuldigen, dass wichtige überfällige Reformen durch ihren parteipolitischen Egoismus seit Jahren blockiert werden.
Ob Sergio Ermotti das neue Giganten-Geschäftsmodell einer UBS inkl. CS-Trümmer im Griff haben wird, ist im Moment nicht beantwortbar. Sein Entscheid, CS-CEO Ulrich Körner in die UBS-Konzernleitung zu berufen, darf zu denken geben. Wünschenswert erscheint mir, dass beim neuen Kurs des helvetischen Bankenmonsters die alte Tugend des einstigen Swiss-Bankings zum Tragen kommen wird. Sie heisst «Back to the roots» – übersetzbar mit dem prägenden Begriff «vertrauensbildend».
Denn, nicht wahr, die Gefahr bleibt bestehen, dass ein erneuter Bankenrun auch die UBS treffen könnte. Bildeten sich früher lange Menschenschlangen vor betroffenen Bankfilialen (alle wollten ihr Geld rechtzeitig in Sicherheit bringen), so genügt im Zeitalter der Digitalisierung quasi ein Klick und der «digitale Bankenrun» ist Tatsache.