Dass sich aus einer am Stammtisch entwickelten Bieridee eine veritable „Sein-oder-Nichtsein“-Glaubensfrage entwickelte, hat weniger mit der SRG, als viel mit dem rund hundertjährigen Glaubenskrieg um mehr oder weniger Markt versus mehr oder weniger Staat zu tun.
Gut getarnte Gründe
Beginnen wir bei unserer Kurzanalyse mit den sechs von den Initianten angeführten wichtigsten Gründen, nachfolgend kursiv gesetzt:
Bei Abschaffung der Zwangsgebühren sollen wir mehr Entscheidungsfreiheit, Lebensqualität und eine grössere Medienvielfalt erhalten. Der Medienfreiheit würde zum Durchbruch verholfen. Die Ankurbelung der Wirtschaft stünde unmittelbar bevor. Es gelte, die Abzockerei am Volk zu stoppen.
Urteilen Sie selbst, wie diese guttönenden Versprechen einer kritischen Durchleuchtung standhalten. Mehr Entscheidungs-, Medienfreiheit, -vielfalt und Lebensqualität? Bei weniger Angebot, weniger Viersprachigkeit? Was hat das alles mit Lebensqualität zu tun? Wir kennen die Berlusconi-Medienfreiheit und die Trump-Twitterfreiheit, gerne verzichten wir auf diese Art von Freiheitsdefinitionen. Und anders gesagt, wer auf wöchentlich zwei Cafés-Crème im Restaurant verzichtet, würde der Wirtschaft eine ungeheure Kaufkraft zuführen und sie damit ankurbeln? Abzocken tönt zwar immer gut und der saloppe Wortgebrauch ist zwar beliebt; trotzdem definiert der Duden abzocken mit ausnehmen, abgaunern.
Fadenscheinige Argumente
Hinter den Argumenten der Initianten verstecken sich – offensichtlich gut getarnt – in diesem Fall auch ganz andere Gründe als die publizierten. Stolz schreiben die Initianten denn auch, dass im Initiativtext die SRG mit keinem Wort erwähnt würde. Tatsächlich bestätigt diese Aussage indirekt die wahren Absichten dieses libertären Stosstrupps.
Diese Leute wollen vom Staat zu nichts gezwungen werden. So empfinden Mitglieder der Initianten der ersten Stunde zum Beispiel das Rauchverbot in öffentlichen Räumen als staatlich verordnete Regel. Solche gilt es aus Prinzip zu bekämpfen. „Die Freiheit vom Staat – die einzige Freiheit, die für sie zählt“, argumentieren sie und sind der Überzeugung, dass „der Markt – und nur der Markt – für die meisten Fragen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung die besten Lösungen findet“ (TA). Ein Co-Präsident von No Billag, gleichzeitig Gründer der libertären Unabhängigkeitspartei (UP), verriet der ZEIT, würde es nach ihm gehen, würde noch vieles dereguliert in der Schweiz: das Gesundheitswesen, die AHV, die Pensionskassen. Dieses Demokratieverständnis ist selbstredend.
Hinter dem trockenen Wort Markt verstecken sich ihrerseits Marktkräfte, also Marktmenschen, die ihre Machtbasis und –dominanz stärken möchten. Hellhörige sind alarmiert: Markt und Macht sind Zwillinge. Eine funktionierende Demokratie ist nicht deren oberstes Ziel. Auch verkörpert der Neoliberalismus in seiner defizienten Form des Kapitalismus eben nicht jene Freiheit, die der Liberalismus einst versprach. Mit dieser Feststellung nähern wir uns dem Kern der Auseinandersetzung.
Warum mehr Markt und Macht und für wen?
Warum hat Präsident Trump schon im März 2017 angekündigt, die Bundesgelder für die öffentlichen Radio- und Fernsehstationen zu streichen? Warum zieht der Medienmogul Berlusconi noch immer aus dem Hintergrund die politischen Fäden in Italien?
Warum gab es bereits vor 45 Jahren den „Hofer-Club“ aus Kreisen der SVP (mit Mitglied Christoph Blocher)? Warum lancierte vor rund 20 Jahren der Verein „Trumpf Buur“ eine Kampagne gegen die SRG? Warum übernahm Tito Tettamanti die Weltwoche und stieg bei der Basler Zeitung ein? Warum konnte SVP-Mann Roger Köppel anschliessend die Weltwoche kaufen und warum gehört die Basler Zeitung unter anderen Christoph Blocher? Und warum kaufte dieser den Zehnder Verlag mit seinen 25 Gratisanzeigern? Warum gibt es wohl Tele-Blocher und warum bezahlte SVP-Mitglied Walter Frey den Initianten 100‘000 Franken in die Kampagne-Kasse (DIE ZEIT)? Warum fordert der Verband Schweizer Medien (Präsidiumsmitglied ist Chefredaktor Markus Somm, Basler Zeitung) Einschränkungen für die SRG?
Es ist wohl nicht abwegig, wenn man aus dieser Fragerunde ableitet, dass es einen gemeinsamen Nenner in all den Antworten gibt. Er heisst: Weniger Staat, mehr Markt, mehr persönliche Macht, mehr politischen Einfluss. Damit diese Anliegen blühen und gedeihen können, braucht es mehr Medieneinfluss. Damit schliesst sich der eingangs erwähnte Kreis der wahren Gründe dieses „Glaubenskriegs“.
Andere als die angeführten Gründe
Indem Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die oben aufgeführten Fragen selbst beantworten, lichten Sie den Nebel über den Niederungen der undemokratisch gesinnten Strippenzieher aus dem Hintergrund. Deren Einsatz für die No-Billag-Initiative und gegen die vorgeschobenen Zwangsabgaben hat handfeste Gründe. Libertär heisst nicht umsonst extrem freiheitlich, anarchistisch (Duden). „Der Mensch soll zu nichts gezwungen werden, zu gar nichts“, sagt Silvan Amberg, einer der Initianten (TA).
In Wahrheit handelt es sich hier um eine weitere Attacke aus der Denkfibel des marktradikalen Ansatzes. Er macht sich stark für den Ausbau einer marktkonformen Demokratie anstelle demokratiekonformer Märkte. Unter Demokratie verstehen wir in der Schweiz immer noch „Herrschaft des Volkes“. Da die Herrschaft durch die Allgemeinheit ausgeübt wird, sind Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen Willensbildung unerlässlich.
Meinungs- und Pressefreiheit
Zurück zu Trump und Berlusconi. Trump, Milliardär und Immobilienmogul, Lästerer über das Politestablishment in Washington, Steuersenker und Deregulierer hat den Wahlkampf vor einem Jahr nicht zuletzt dank Millionenspenden Privater aus dem Hintergrund und von ihnen finanzierter (Des-) Informationskampagnen für sich entschieden. Anstelle der renommierten Print-, Radio- und TV-Medien, die er für irrelevant erklärt, twittert er seine Meinung täglich im Land herum. Berlusconi, Milliardär seinerseits: Zusammen kontrollieren seine beiden Medien-Gesellschaften 90 Prozent des italienischen Fernsehmarktes. Durch seine Werbeagentur Publitalia 80 kontrolliert Berlusconis Familie auch grosse Teile des italienischen Werbemarktes mit einem Marktanteil von über 60 Prozent bei der Fernsehwerbung.
Damit verkommt die einst staatstragende demokratische Idee der Meinungsfreiheit zu einem Produkt privat finanzierter, rechtskonservativer und gelenkter Desinformation.
In der Schweiz kennen wir keine solchen Zustände. Wir leben in einem Land, wo Kapitalismus und soziale Wohlfahrt einen erfolgreichen Kleinstaat geformt haben; zwar mit grossen Meinungsverschiedenheiten, doch mit einer starken Meinungs- und Pressefreiheit, noch. Doch auch hier sorgt ein anachronistisches, intransparentes Gesetz dafür, dass die politischen Parteien immer noch nicht offen legen müssen, welche Personen (Milliardäre) mit welchen Beträgen (Millionen) die Abstimmungs- und Wahlkampagnen finanzieren. Wer da mehr investieren kann, ist an der Urne erfolgreicher. Gekaufte Meinung als Produkt unseres föderalistischen Sonderfalls? Das allerdings verträgt sich schlecht mit dem Slogan jener Partei, die sich berufen fühlt, permanent die Freiheit der Schweiz verteidigen zu müssen.
Mehr Markt statt Staat ist in vielen Fällen keine schlechte Idee. Doch wer versucht ist, mit einem JA zur No-Billag-Initiative der SRG einen verdienten Denkzettel zu erteilen, schüttet das Bad mitsamt dem Kind aus. Deshalb fahren wir wohl besser, mit einem NEIN für unsere altbewährte Freiheit einzustehen.
Bundesrat und Parlament empfehlen, diese Volksinitiative abzulehnen.