Wer kennt heute noch Berufe wie Türmer, Posmentierer oder Reepschläger? Oder umgekehrt: Wer konnte sich vor 25 Jahren etwas unter IT-Security-Manager, E-Commerce- oder Content-Manager vorstellen? Der Wandel in unserer Berufswelt ist enorm, das Tempo der Veränderungen eindrücklich.
Die Zukunft der Arbeit
Blenden wir einen Moment zurück. Schon bei der Industriellen Revolution im 18./19. Jahrhundert fielen viele Berufe der Mechanisierung zum Opfer. Doch alle pessimistischen Prognosen über steigende Arbeitslosigkeit erwiesen sich als falsch. Heute sind Globalisierung, Informationstechnik (IT) und Künstliche Intelligenz (KI) die Treiber der nächsten Arbeitswelt-Revolution, und wieder warnen Gewerkschaften und Schwarzseher vor drohender Arbeitslosigkeit und Verarmung. Doch erneut zeichnet sich ab, was der «Economist» sinngemäss so kommentiert: «Die Arbeitsmärkte gewinnen – die Zukunft ist rosig. Einmal mehr werde sich erweisen, dass negative Prognosen irreführend waren.»
Der Grund für diese wiederholten Fehlleistungen: Wir wissen gar nicht, welche neuen Jobs geschaffen werden, und wir wissen auch nicht, was wir nicht wissen.
Der alles prägende Trend: Transparenz
Der alles prägende Trend heisst Transparenz-Gebot. Seit ich vor 20 Jahren mein erstes Buch schrieb («Die Glaskugel-Gesellschaft. Transparenz als Schlüssel zur Moderne»), ist der Druck nach Offenlegung von Geheimem, Verbotenem, Getarntem, unter dem Deckel Gehaltenem weltweit gestiegen. Riesige Datenmengen und in der Folge Datenlecks mache es möglich, Whistleblower führen aus. Langfristig wird auch die ewiggestrige Justiz kapitulieren – das Bankgeheimnis lässt grüssen.
Dieser anhaltende Trend zu verbesserter Information für mündige Bürger*innen geht unentwegt weiter. Warum sind unsere Böden kontaminiert, ist Leitungswasser vergiftet? Was für gigantische Wassermengen verschlingen Palmöl oder Avocados beim Anbau? Welche Konsequenzen hat unser unersättlicher Importhunger nach Futtermitteln für die Landwirtschaft auf den Regenwald?
Konsument*innen sind erwacht. Nachhaltigkeit, Klimawandel, moderne, gesunde Ernährung fordern Durchblick. Smartphones lüften in Sekundenschnelle Geheimnisse nach dem Woher und Wie bei Food und Wein. Chemiker analysieren Zusammensetzungen von Saatgut oder Wein- resp. Traubensorten. Die Liste ist ellenlang und wächst täglich.
Geld sparen: Teilen statt Besitzen
Mieten statt kaufen, teilen statt besitzen – ein ganz grosser Trend zeichnet sich ab. Wer die Hundertausende von stillstehenden Autos am Strassenrand betrachtet und in einer stillen Stunde ehrlich darüber nachdenkt – ein gewaltiger Unsinn. «Man hat ein Auto» (oder zwei oder drei) – wieso eigentlich?
Gar nicht so neu, die Sharing Economy. Unweigerlich erinnern wir uns an die Schul- oder Gemeindebibliothek. Dann kam die Idee der Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit, Unabhängigkeit auf. Hier dockt auch die Idee des Carpooling und -sharing an. Bereits bietet Share now (BMW) in grösseren Städten Leihwagen an, die «an jeder Ecke zu finden sind und auf öffentlichen Parkplätzen kostenlos wieder abgestellt werden können». (Von den batteriegetriebenen Trottinetts, die einem überall den Weg verstellen, nicht zu reden.)
Dank der Plattform «Hundelieb» machen Sie den Mittagsspaziergang in Begleitung des sympathischen Labradors des vielbeschäftigten Arztes aus dem Nachbardorf. Der Modern Lifestyle verlangt Flexibilität und Unabhängigkeit, das Handy ermöglicht deals in no time. Und klar: Airbnb ermöglicht übermorgen schon ein paar Tage Ferien in Venedig.
Vom Büropult zum Stubentisch
Etwas trendiger formuliert: «From desktop to laptop», dieser weltweite Trend Richtung hybrider Arbeitswelt – beschleunigt durch Covid-19 – wird das Management grosser Firmen kolossal beschäftigen. Wann arbeitet wer und wie lange von zuhause aus, wer möchte und wer darf nicht? In den USA ist der Anteil der Gruppe «Laptop zuhause» innert Jahresfrist von 5 auf 60 Prozent gestiegen («Economist»).
Da diese Entwicklung nicht alle Geschäftsleitungen freut, ist es absehbar, dass viele Firmen versuchen werden, ihr Büroleben für alle zu verbessern. Zudem stellen sich Versicherungsfragen: Die hybride Arbeitswelt tickt anders, die Risiken sind zum Teil neu, die Bedingungen flexibler auszuarbeiten.
Weitere spannende Trends zuhauf
65 Prozent unserer Kinder werden einen Beruf ausüben, den es heute noch nicht gibt (Globalance). Achten Eltern rechtzeitig darauf, dass ihre Jungen jene Fähigkeiten erlernen, die in zehn Jahren gefragt sein werden? Wenn Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen die digitale Revolution vorantreiben, sind neue Qualifikationsprofile gefragt. Schreiben und Diktieren verlieren an Bedeutung (der Computer übernimmt), umso wichtiger ist die Förderung von Eigeninitiative und Unternehmergeist.
In den USA sind grosse Konzerne wie Amazon oder Walmart dazu übergegangen, die Weiterbildung und Umschulung ihrer Mitarbeiter*innen auf breiter Basis aufzugleisen. Während laufend wenig qualifizierte Berufe wegfallen (zum Beispiel am Check-out), wird diesen Arbeitskräften intern die Karriereleiter hingestellt: Der Sprung in höherqualifizierte Tätigkeiten löst Interesse und Befriedigung aus.
Achtung: Der Markt an Dienstleistungen wächst deutlich schneller als der Warenverkehr. Ob dies die Globalisierung verlangsamen wird, ist noch ungewiss. Jedenfalls hat Covid-19 zu einer förmlichen Explosion mutiger Start-ups geführt, die zeitgemässe Dienstleistungen auf kurze Distanzen («Glokalisierung») anbieten. Kommissionen erledigen, Entrümpelungsaktionen, Kochen-auf-Wunsch, kurzfristige Reinigungsarbeiten.
Das Geheimnis junger Forschender
Aus der Universität Zürich (UZH) erreichen uns Nachrichten, die faszinieren. Im Schnellzug: Neurowissenschaftler Tommaso Patriarchi taufte seine Erfindung «dlight» – in Anlehnung an das Licht, das sein eben entwickeltes System ermöglicht. Dieser erste von ihm entwickelte Sensor für den Neurotransmitter Dopamin ist ein Meilenstein auf dem Weg, die chemische Sprache des Gehirns zu entschlüsseln.
Die Computerlinguistin Sarah Ebling arbeitet am App «Siri», das dereinst in der Lage sein soll, simultan Laut- in Gebärdensprache zu übersetzen und so Menschen mit Behinderung den Zugang zur digitalen Welt zu erleichtern.
Er will die Volkskrankheit Rückenschmerzen zum Verschwinden bringen. Dieses ambitiöse Ziel hat sich der Biochemiker Stefan Dudli gesetzt. Seine neu entwickelte Stammzellen-Therapie soll dies ermöglichen. Allein in der Schweiz warten rund 30'000 Menschen hoffnungsvoll darauf.
Guerreiro Stücklin, Onkologin am Kinderspital Zürich, behandelt Kinder und Jugendliche, die an Hirntumoren leiden. Ein solcher kann durch Genfusionen entstehen. «Wenn wir diesen Mechanismus verstehen, können wir die Krebszellen gezielt bekämpfen.»
Der Biologe Marcel van der Heijden setzt auf unkonventionelle Forschungsmethoden: statt auf Kunstdünger oder Pestizide schwört er auf Pilze und Mikroorganismen. Damit will er die Erträge unserer Landwirtschaft steigern. So hat er bei Versuchen mit Maispflanzen den Ertrag des Ackerbodens mithilfe von Pilzen um 20 Prozent gesteigert.
«Letztlich geht es ihm und der 25-köpfigen Forschungstruppe, die er leitet, darum, die Erträge der Bauern zu steigern, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und auf diese Weise die Umwelt zu schützen» (UZH Magazin).
Neue Jobs, neue Produkte, neue Lösungen
Wo einst Bahnwaggons und Aufzüge hergestellt wurden, auf dem Schlieremer Industrieareal, sind heute 55 Firmen mit 1500 Mitarbeitern angesiedelt: 5000 neue Jobs in zehn Jahren (NZZ). Stellvertretend für andere ähnliche Start-up-HUBs fokussieren wir uns an dieser Stelle auf das dortige Life-Science-Unternehmen Hemotune. Dort wird in der schnell wachsenden Branche auch an Mitteln gegen die Corona-Erkrankung geforscht.
Ein Beispiel aus der Technik von Hemotune: Sie hat Teilchen mit einem magnetischen Kern entwickelt, die dem Blut beigegeben werden und an den herauszulösenden Giftstoffen andocken. Ein Magnet zieht sie anschliessend mitsamt den toxischen Substanzen heraus, während das gereinigte Blut in den Körper zurückfliesst.
Aus Eindhoven kommt die Meldung, dass es dem Technologie-Start-up SALD erstmals gelungen ist, Schichten so dünn wie Atom (Plasma-Atombeschichtung) bei Raumtemperaturen aufzutragen, z.B. bei der Fertigung von Solarzellen, Optikgeräten, Verpackungsfolien.
Blick in die Zukunft
- Siemens Gamesa baut gigantische Windkraftanlagen. Die grösste Offshore-Windturbine auf dem Meer hat einen Durchmesser von 222 Metern.
- Der indische Solarstromproduzent Azure Power Global produziert Aufdach-Solaranlagen und leistet damit auch einen Beitrag zur Elektrifizierung jener Haushalte, die heute noch keinen Zugang zu Strom haben.
- Die New Oriental Education & Technology Group ist das grösste private Bildungsunternehmen in China. Über 20 Millionen Studierende bieten über 40'000 Lehrkräften in 100 Städten Arbeit.
- Die Technologiefirma Inovalon Holding bietet cloudbasierte Tools zur Unterstützung der Gesundheitsversorgung an. Ihre Technologien unterstützen 500 Organisationen bei der Versorgung des Gesundheitswesens (Globalance).
- Die Firmen Saint-Gobain Weber und Saint-Gobain Isover haben die revolutionäre Systemdämmplatte Marmoran MW-Eco 034 aus über 80 Prozent Recyclingglas auf den Markt gebracht. Dies ermöglicht aus recyceltem Glas Fassaden mit Bestwerten zu dämmen (smartmedia).
Optimismus: heute einen Baum pflanzen
Lehnen wir uns einen Moment lang zurück und überlegen uns, was das heisst: Zukunft. Sie ist nicht nebelverhangen, denn einzelne drastische Veränderungen sind bereits antizipierbar. Wer auf solche Studien abstellt, nimmt zur Kenntnis, dass bereits in fünf Jahren sechs von zehn Menschen in Berufen arbeiten werden, die wir heute noch nicht kennen. Zwei Drittel unserer Kinder werden einen Beruf erlernen, den es heute noch gar nicht gibt. Und in 30 Jahren werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben. Ob wir in einigen Jahren einen digitalen Euro haben werden, wie Christine Lagarde, Präsidentin EZB, mutmasst, überlasse ich Ihrer Beurteilung.
Bei diesen Prozessen wird es Gewinner und Verlierer geben: Wer solchermassen optimistisch die Zukunft liest (mit Vorbehalt?), wird gewinnen, auf der anderen Seite werden jene – die alte Welt –, die sich an überholte Privilegien, ungerechtfertigte Vorteile oder kontraproduktive Subventionen halten, Jahr für Jahr etwas davon verlieren.
Deshalb sollten wir heute einen Baum pflanzen.