Das Modell einer von der Ganzheit geprägten Vision1 für die Orientierungshilfe in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist ein Wagnis, weil es bewusst in die Zone des Wünschenswerten, der Suche nach Werten der Zukunft vordringt. Der heute vorherrschende polarisierende Dualismus, auch die oft unbewusste Fragmentierung der unterschiedlichen Problemsichten, spalten immer etwas, was nicht voneinander getrennt werden sollte. Das Wahrnehmen nur eines (kleinen) Teils des Ganzen ist ein Krebsübel der Gegenwart und es bewirkt in seiner Gnaden- und Sinnlosigkeit, dass sich Politiker, Nationen, Ökonomen und Theologen, letztlich auch Nachbarn oder … Menschen feindlich gegenüberstehen.
Zu Beginn des 3. Jahrtausends tragen Hirnforscher in Aufsehen erregender Weise dazu bei, das Verständnis über uns selbst zu verbessern. Eine der neuen Feststellungen: Die dualistische Interpretation, mit der Descartes den Geist vom Gehirn und Körper trennte, lässt sich so nicht aufrechterhalten. Damit wird jetzt auch wissenschaftlich gestützt, was aus kulturphilosophischer Sicht bereits seit 1950 vermutet wurde. Die duale Aufspaltung als Prägung unserer Zeit in rational/irrational (oder z.B. richtig/falsch) trennt die Welt in zwei einander bekämpfende Lager. Sie ist weit verbreitet, politisch und ideologisch.
Wohl am augenfälligsten ist die negative Seite dieses dualistischen Weltverständnisses in der Politik sichtbar. Unter verschiedensten Parteienbezeichnungen bekämpfen sich linke und rechte Gruppierungen oder progressive und konservative Kreise, jede und jeder für sich in Anspruch nehmend, „richtig“ zu handeln, die „Wahrheit“ zu kennen oder „im Recht“ zu sein. Dieses Denken ist im Mittelalter verhaftet. Es ist unserer Zeit, Jahrhunderte nach der Aufklärung, unwürdig. Es ist jenem Schema verhaftet, das Kriege als Vorbedingung zum Frieden oder Kampf als Schiedsrichter zwischen Sieger und Verlierer voraussetzte.
Wenn wir der Sache noch etwas auf den Grund gehen, entdecken wir im täglichen Verhalten überall die beiden relevanten Verhaltenspaare. Hier das überholte, alte, dualistische, dort das zukunftsträchtige, neue, integrale. Nicht immer ist das klar ersichtlich, oft sind es subtile Gewohnheiten, die sich hinter der Tagesroutine verstecken, oft bestimmen natürlich auch die persönlichen Prägungen das bevorzugte Ritual: Polemik statt Sachlichkeit, Gegnerschaft statt Gemeinsamkeit, auf Recht beharren statt Lösung suchen, Ideologie statt Offenheit. egoistisch statt solidarisch, teilend statt übergreifend, eben: fragmentiert oder dualistisch statt ganzheitlich.Wem das jetzt etwas gar abstrakt vorkam, hier noch weitere Beispiele aus unserem Alltag, Fälle mit verzögerter Reaktion sozusagen, konkrete Muster, die den Verlust der ganzheitlichen Interpretation belegen: Das Marktprinzip hat das übergeordnete Moralprinzip verdrängt – hier die Ethik, dort die Wirtschaft. Fragmentarische, kurzfristige Managementlehren liessen die komplexen, langfristigen Systeme verkümmern. Die Finanzbranche kreiert „hochprofitable“ Produkte deren mathematischen Modelle gar nicht in der Lage sind, die reale Welt mit ihren Überraschungen zu widerspiegeln. Einer der wichtigsten Ökonomen der jüngeren Vergangenheit, Peter F. Drucker (1909 – 2005), der amerikanische, unabhängige Denker für Theorie und Praxis im Management, hat die Irrwege früher als andere erkannt und davor gewarnt. Immer wider verwies er auf die gesellschaftlichen Auswirkungen dessen, was Spitzenmanager provozieren, wenn sie auf einem Auge blind sind. Präzis formulierte er Zweck und Mission des Unternehmens – konträr oft zur ökonomischen Gewinnmaximierung hier und zu gewerkschaftlichen Begehren dort. An die Stelle von Prognosen und Fortschrittsglauben setzte er die Praxis des „Innovierens“ und die Idee einer Zukunft, die nicht passiert, sondern heute zu gestalten ist, damit das Morgen anders wird. Drucker hat als Erster die Bedeutung von Management in seiner sozialen Ganzheit gesehen – die Spannungsfelder von Kontinuität und Wandel, Konservierung und Innovation, Gemeinschaft und Gesellschaft, von grossen Ideen und der Arbeit des Menschen.
Sehr umfassend und differenziert bringt auch der Systemdenker Egon Zeimers die Krise des (ökonomischen) Denkens zu Papier. «Wir müssen aufhören, Probleme isoliert anzusehen», rät er dringend. Kritisiert wird von ihm das vorherrschende Denken: «Man zerstückelt die Welt in scheinbar voneinander unabhängige Bereiche. Man versteift sich auf Einzelprobleme und Einzellösungen. Und man betrachtet die Welt nicht als das, was sie ist, ein lebendes, komplexes System, in dem sich die Elemente über bisweilen unsichtbare Fäden wechselseitig beeinflussen. Wer systemisch auf die Welt blickt, käme nie auf die Idee, ein Land oder ein Kontinent könne sich [heute] von der Entwicklung anderswo abkoppeln.»
Die Überwindung dieser Trennung ist vordringlich und lohnenswert. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen.1 Zollinger Christoph: „Die Debatte läuft – Ganzheitliche Thesen wir Gesellschaft, Wirtschaft und Politik“