Wir sind zu Recht stolz auf unsere föderalistische Schweiz. Die Macht im Land ist auf die drei Ebenen Bund, Kanton, Gemeinde aufgeteilt. Das Volk entscheidet Wahlen und Abstimmungen. Mehrmals jährlich bestimmen wir so, wer unsere zukünftige Politik lenken wird und wie diese ausgestaltet werden soll. Die Politik hat die anspruchsvolle Aufgabe, diese anschliessend umzusetzen. Neutrale Informationen für die Bevölkerung, damit sie dieser wichtigen Aufgabe nachkommen kann, bilden die Basis des helvetischen Staatsbaus. Doch genau hier funktioniert das System nicht: Weder dürfen wir wissen, welche Kreise unsere politischen Amtsträger, noch welche Personen und/oder Institutionen (Lobbys) Wahl- und Abstimmungspropaganda finanzieren. Warum dürfen wir das eigentlich alles nicht wissen?
Zweierlei Informationen
Wir erhalten zwar vor den eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Exekutiven rechtzeitig vor Abstimmungen Erläuterungen, bevor wir uns mit Namen oder ja/nein entscheiden. Diese Information – zum Beispiel das rote Abstimmungsbüchlein des Bundes – sind die eine Komponente des Rituals. Dieser Informationsaspekt ist im Allgemeinen als neutral zu beurteilen. Wie genau diese vielen Seiten an Informationen vom Publikum studiert werden und wieviel es nach der Lektüre klüger geworden ist, lassen wir mal offen.
Die andere Seite ist die Wahl- und Abstimmungspropaganda. Über Wochen finden wir in unseren Briefkästen Prospekte, Flyers, ja, ab und zu sogar ein „Extrablatt“ der SVP. All das kostet viel Geld, zum Teil sehr viel. Da aus der Wirtschaft bekannt ist, dass der Grundsatz „je mehr Werbung, desto mehr Verkaufserfolg“ besonders von den grossen Players beachtet wird (man denke an die ganzseitigen „Roger, wieder die Nummer 1–Plakate“ von berühmten Markenartikelproduzenten im vergangenen Februar), darf man getrost annehmen, dass sich dieses Gesetz auch in politischen Abstimmungsresultaten niederschlägt. Nur: in diesem Fall kann keine Rede sein von neutraler Information, diskussionslos können wir diese Papierflut als Werbung für die Meinung des Absenders halten. Das ist natürlich dessen gutes Recht. Doch wer finanziert das Ganze? Welche Budgets werden angezapft? Und am wichtigsten: welche privaten Financiers kommen auf für finanzielle Engpässe? Wir wissen es nicht. Wir dürfen es nicht wissen.
Wer will eigentlich mehr Transparenz?
Wenn wir dieser Frage nachgehen wollen, finden wir unsere Ahnung bestätigt. Periodische Umfragen zeigen immer das gleiche Bild: Eine grosse Mehrheit der Bevölkerung wünschte sich mehr Transparenz in Sachen Politikfinanzierung. Ob bei Univox oder Vimentis, immer sind es über 75 Prozent, die diesen klaren Wunsch äussern. Zudem kritisiert der Europarat die mangelnde Transparenz diesbezüglich seit Jahren. Doch der Bundesrat blockt ab mit der eigenartigen Begründung, eine gesamtschweizerische Transparenz-Regelung vertrage sich nicht mit der föderalistischen Struktur der Schweiz.
Diese Verwedelungstaktik ist der Schweiz unwürdig. Das Volk ist der Souverän, argumentieren die Parteien gerne. Der Politologe Michael Hermann hat letztes Jahr in der NZZ daran erinnert, dass die Parteien „mausarm“ wären, weshalb andere in die Finanzierungslücken springen würden. Verbände, Gewerkschaften, NGOs etwa. Im gleichen Atemzug ortete er das politische Profil des Geldes „rechts der Mitte“. Vertreter der geltenden Praxis argumentieren, bei Offenlegung der Finanzierungsquellen würde sich „nicht viel ändern“, und überhaupt: „Abstimmungen in der Schweiz können nicht gekauft werden“. Mit Verlaub: diese Behauptungen werden dem Intelligenzniveau von Schweizerinnen und Schweizer nicht gerecht.
Geldspender aus dem Hintergrund
Hermann hat übersehen, auch Firmen und Privatpersonen als Geldquellen zu nennen. Laut regelmässigen Umfragen der Actares (actares.ch) unterstützen sämtliche im SMI kotierten Firmen politische Parteien, am meisten die UBS (1,6 Millionen/Jahr), und die CS (eine Million). Auch Novartis, Roche, Nestlé etc. leisten Zahlungen an ihnen genehme Parteien. Für politische Kampagnen spenden sie auch, doch geben sie sich hier bedeutend zugeknöpfter. Ungeklärt ist auch nach wie vor, welche Personen oder Komitees (oft auch „überparteilich“ genannt) in grossem Stil spenden. Also 100‘000 Franken oder mehr pro Kampagne. Dies alles ist durchaus akzeptabel, doch warum sagt man nicht, wieviel? Oder gibt es so etwas wie ein „Bankgeheimnis“, - ein Politgeheimnis - zum Schutz der Privatsphäre? Und wer schützt dann die fünf Millionen Stimmberechtigten?
Die Transparenzinitiative soll Licht ins Dunkel bringen
Niemand (oder wenn, wer?) kann wohl etwas dagegen haben, dass wir diese Frage der Parteienfinanzierung gerne repräsentativ geklärt hätten. Genau dies beabsichtigt die hängige „Volksinitiative „Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung“, die im Oktober 2017 eingereicht worden ist. Grossspenden über 100‘000 Franken sollen künftig offen gelegt werden müssen. Ob damit das gut gehütete Geheimnis wirklich offengelegt wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wehren sich FDP, SVP und CVP bereits heute vehement gegen solche Ansinnen.
Erste, überraschende Resultate erzielten dagegen kantonale Initiativen in Schwyz und Freiburg, die im März 2018 an der Urne erfolgreich waren: die Offenlegungspflicht bei der Finanzierung von Parteien und Kampagnenkomitees wurde auf kantonaler Ebene angenommen. Bereits früher hatten Genf, Neuenburg und Tessin genau das beschlossen.
Fehlendes Transparenzverständnis in beiden Räten
Über antiquiertes Denken im Ständerat haben wir kürzlich berichtet („Desinformation durchschaut!" 12.2.2018). Nun muss die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, dass die Geheimniskrämer auch im Nationalrat sitzen. Nach deren Rechtskommission soll künftig das Prinzip der Justizöffentlichkeit abgeschafft werden, nach dem Journalisten bisher Einsicht hatten („Einstellungsverfügung“). Die Idee dieser Zensur stammt von SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor, ein Anwalt aus dem Wallis (Fifa – Wallis, wie war das schon?) Zur Erinnerung: die viel Staub aufwirbelnden Schmiergeldzahlungen der Fifa 2012 kamen nur ans Tageslicht, weil sich Journalisten Einsicht in diese Verfügung erstritten hatten (TA). Mal abgesehen davon, dass diese Glanzidee im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichts steht, was soll das Ganze? Handelt es sich ganz einfach um einen Fehlentscheid, den der Ständerat korrigieren könnte? Eigentlich wollten wir doch mehr, nicht weniger Transparenz?
Die Frage lautet: gibt es gekaufte Politik in der demokratischen Schweiz? Warum sollen wir auf diese Frage keine Antwort von den Behörden bekommen? Und wenn alle Transparenzforderungen ohne Einfluss auf Wahl- und Abstimmungsergebnisse bleiben, warum dann nicht die unwürdige und unzeitgemässe Dunkelkammer hell erleuchten?