Im Vorfeld der irgendwann fälligen Eidg. Abstimmung zu den Bilateralen III intensivieren sich die politischen Diskussionen im Land. Recht so, wir sind schliesslich eine direkte Demokratie, in der eine Volksmehrheit das Sagen hat.
Unterschiede zwischen Kooperation und Konfrontation
Wer Kooperationen befürwortet, vertraut dem Partner und erwartet, dass beide Seiten vom neuen Vertrag profitieren werden. Man ist sich bewusst, dass es dazu ein Geben und Nehmen braucht. Man schaut optimistisch vorwärts, Fokus Zukunft. Man weiss, dass aus Kooperationen mehr wirtschaftlicher Erfolg resultiert als aus Alleinkämpfertum. Wer die Konfrontation sucht, misstraut dem Andern, verspricht sich vom neuen Vertrag nur Nachteile und ist nicht bereit, Konzessionen zu machen. Man blickt rückwärts, fokussiert auf die Vergangenheit. Vielleicht überschätzt man sich?
Unterschiede zwischen Stärkung und Unterwerfung
Wer mit den Bilateralen III eine Stärkung der Schweiz erwartet, sieht darin eine zukunftsfähige vertragliche Absicherung und Weiterentwicklung unserer Teilnahme und Handlungsfähigkeit im Heimmarkt Europa. Gerade jetzt, in turbulenten politischen Zeiten ist man sich bewusst, dass die Sicherheit der Schweiz in einem europäischen Verbund gut aufgehoben ist. Wer dagegen die Bilateralen III als Unterwerfung der Schweiz interpretiert, operiert absichtlich mit einem mittelalterlichen Horrorbild. Zudem redet man die Abhängigkeit des Exportmarktes Schweiz vom Hauptabnehmer Europa (EU) klein. Mit dem Blick nach Innen ignoriert man vielleicht auch die europäischen, ja weltlichen politischen Risiken in einem Zeitalter zunehmender autoritärer Willkürherrschaften.
Unterschiede zwischen Volksmehr und Ständemehr
Wer bei der entscheidenden Abstimmung zu den Bilateralen III für das Volksmehr (Mehrheit der Stimmenden) plädiert, vertritt die Meinung, dass eine Mehrheit der Bevölkerung über ein Ja oder Nein bei diesem zukunftsweisenden Beschluss entscheiden soll. Wer für das Ständemehr plädiert (1848 auch zum Schutz der im Sonderbundskrieg unterlegenen katholischen Minderheit in der Schweiz eingeführt) möchte, dass eine Minderheit im Land zulasten der Mehrheit entscheiden kann. Längst braucht es ja den Schutz der Katholiken nicht mehr – sie sind eine Mehrheit in der Schweiz.
Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit
Wer die Bilateralen III begrüsst, befürwortet eine teilweise strategische Neuanpassung der schweizerischen Aussen- und Handelspolitik an eine Welt des 21. Jahrhunderts, wo Zeit und Distanzen durch IT und KI neu definiert werden. Sie/Er suchen Kompromisse, um visionären Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Wer diese Neuausrichtung ablehnt und gar vor der EU als Herrscher über unser Land fabuliert, sieht das Heil des Landes in der kompromisslosen Verteidigung der Schweiz des 20 Jahrhunderts, respektive in einem weitgehenden Alleingang.
Über die schweizerische Souveränität
Viele hektische Diskussionen drehen sich um das Thema Verlust von Schweizerischer Souveränität bei der Annahme der Bilateralen III. Da kann man sich fragen, warum dieser «Verlust» so gewaltig sein soll, wenn wir seit 2020 (Annahme der Bilateralen I) als souveräner Staat und erfolgreicher Exportnation so hervorragend funktioniert haben? Und weiter muss man sich fragen, warum das Thema Souveränitätsverlust ausschliesslich aus dem engen Blickwinkel allfälliger Nachteile einer Kooperation mit der EU kommentiert wird und sich führende Köpfe des Landes nicht auch mit der Frage der Nachteile eines Abbruchs der Weiterentwicklung der bilateralen Zusammenarbeit stellen?
Als Grund für den Souveränitätsverlust wird oft die Personenfreizügigkeit angeführt. Dabei wird verschwiegen, dass diese primär von den Bedürfnissen des Schweizer Arbeitsmarktes abhängt. Solange Schweizerinnen und Schweizer dem Staat immer neue Aufgaben aufbürden, für die das Personal im Inland fehlt und unsere Wirtschaft erfolgreich operiert und dafür dringend ausländische Fachkräfte benötigt, hat diese Entwicklung mit Verlust von helvetischer Souveränität nichts zu tun.
Andererseits darf man sich fragen, warum sich finanzstarke Menschen, z. B. Milliardäre aus dem Finanzsektor, mit gewaltigen Millionen «Investitionen» für die allgegenwärtige Nein-Kampagne stark machen? Geht es ihnen vielleicht weniger um die offiziell ins Feld geführten Nachteile und Verluste als eher um die Befürchtung des Verlustes einträglicher Finanzgeschäfte?
Schliesslich wäre es eine schweizerische Hausaufgabe, die überbordende Einwanderung mit all ihren negativen Folgen für weite Teile der einheimischen Bevölkerung dort zu thematisieren, wo das unaufhörlich und überdurchschnittliche Beschäftigungswachstum stattfindet: beim Staat, bei dessen Verwaltung und Funktionsträgern. Dies alles hat keinen Zusammenhang mit einem allfälligen Souveränitätsverlust…
Europafreundlich oder Schweiz-Verräter?
Es ist eine helvetische Eigenart, dass die Parolen der politischen Parteien und wirtschaftlichen Verbände eine wichtige Rolle spielen; vor allem auch als News-Lieferanten für die Medien und damit der politisch überhaupt interessierten und abstimmungszugelassenen Bevölkerungseile.
Da wird das längst überholte Parteiportrait präsentiert, wonach z.B. die SVP prinzipiell gegen diese Verträge, die SP dafür und die FDP «nur offiziell» dafür wären. Und es wird vermeldet, der Schweizer Bauernverband platziere eine Menge Forderungen, bevor er sich für ein Ja oder Nein entscheide. Als ob die Meinung der Landwirtschaft mit einem Anteil am schweizerischen Bruttoinlandprodukt (BIP) von 0,6 Prozent (null Komma sechs) entscheidend wäre zur Meinungsbildung.
Schön wäre es, wenn gerade in den Medien die Rolle jener wichtigen und wertvollen Menschen vermehrt thematisiert würde, die sich nicht nach solchen Ratschlägen auszurichten haben, die situativ für oder gegen eine Vorlage stimmen, je nach dem sie sich nach Eigenbeurteilung entschieden haben. Die längst eingesehen haben, dass die ewigen Konfrontationen keine funktionierenden Lösungen hervorbringen. Die sich – wenn sie sich schon auf die schweizerischen föderalistischen Vorteile berufen– auf deren vielgepriesene Konkordanzfähigkeit konzentrieren würden…
Zu hoffen ist, dass die schweizerischen Verhandlungspartner mit der EU bei der Detailberatung divergierender Ansichten bezüglich Bilateraler III selbstbewusst auftreten – immerhin ist die Schweiz viertwichtigster Exportmarkt für die EU, die rund 1,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus EU- Staaten und die 400'000 Grenzgänger, die ihr Geld hierzulande verdienen warten nur darauf, dass sich beide Parteien grosszügig und freundnachbarschaftlich einig werden.