Genau gesagt, soll der neue Artikel 127 Abs. 2bis der Bundesverfassung, sofern Schweizerinnen und Schweizer am 30. November 2014 mehrheitlich JA stimmen, lauten: „Steuerprivilegien für natürliche Personen sind unzulässig. Die Besteuerung nach dem Aufwand ist untersagt.“ Diese Ungleichbehandlung der Steuerzahlenden im Bereich der Pauschalsteuer soll also abgeschafft werden. Schon heute lautet Art. 8 der Bundesverfassung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Wo also liegt das Problem?
Merkwürdiger Ist-Zustand
Heute bezahlen rund 5600 ausländische Millionäre in unserem Land extrem niedrige Steuersätze, obwohl sie sehr reich sind. Voraussetzung dazu ist, dass sie in der Schweiz nicht erwerbstätig sind. (Nicht einmal diese Einschränkung wird überall eingehalten, immer wieder geraten „Sonderfälle dieses Sonderfalls“ an die Öffentlichkeit: Es gibt auch pauschalbesteuerte Ausländer, die in unserem Land erwerbstätig sind, und wie!). Mit anderen Worten: Diese Privilegierten profitieren von tieferen Steuersätzen als Schweizerinnen und Schweizer. Somit kann durchaus argumentiert werden, die gegenwärtig praktizierte Pauschalbesteuerung verletze die Steuergerechtigkeit.
Der AL, SP und der EVP ist dieser Zustand ein Dorn im Auge. Für die SVP, FDP Liberale, CVP und den Bundesrat besteht kein Handlungsbedarf. Jetzt müssen sich Leserinnen und Leser fragen: Wollen wir das?
Das Traumgrundstück am Bodensee
Kürzlich war in der „Thurgauer Zeitung“ zu lesen, Sebastian Vettel, der berühmte deutsche Formel-1-Pilot hätte sich am Untersee ein Traumgrundstück ersteigert. Er ist bereits Besitzer einer rund 5000 m2 grossen Parzelle neben der Badi in Eschenz.
Ein anderer, noch berühmterer Formel-1-Star, besitzt eine 55-Zimmervilla Seegrundstück am Genfersee. Er wird pauschalbesteuert.
Warum soll das uns interessieren? Sofort berufen sich Betroffene und Politiker auf die Neid-Formel, wenn laut darüber nachgedacht wird, ob vielleicht ein Zusammenhang zwischen reichen, pauschalbesteuerten Ausländern, die als „Meistbietende“ für viele Millionen Franken an Traumlagen beeindruckende Grundstücke kaufen und ebenfalls interessierten Schweizerinnen und Schweizer besteht. Er besteht tatsächlich. Wer jährlich Millionen an Steuern spart, kauft sich mit dieser Ersparnis – als sichere Anlage – ebensolche Grundstücke. Alles im grünen Bereich. Alles gesetzeskonform.
Legales Konstrukt
Hans Hess, Ständerat aus Obwalden, spricht von einem „legalen Konstrukt“. Er ist überzeugt davon, dass von der heute geltenden Pauschalsteuer „die ganze Gesellschaft profitiere“. Befürworter des heutigen Steuerregimes warnen eindrücklich vor einer befürchteten Abwanderung dieser Ausländer, sollte sich das Stimmvolk erdreisten, diesem „legalen Konstrukt“ am 30. November an der Urne ein Ende zu bereiten.
Viel ist die Rede von gesteigerter Standortattraktivität als Folge der Pauschalbesteuerung. Diese gern gesehenen Ausländer würden zudem Arbeitsplätze generieren und erhalten. Bei deren Abschaffung würden Bund, Kantonen und Gemeinden zudem Steuereinnahmen entgehen.
Besonders deutlich wird Philippe Kenel im TA (7.11.2014). Er, der auf Standortverlegung spezialisierte Anwalt und Steuerexperte, ist stolz darauf, jährlich rund 20 reiche Ausländer in die Schweiz zu holen, die hier pauschal besteuert werden. Diese bezahlten in der Schweiz weniger Steuern als in ihrer Heimat. Dieses Business-Modell ist legal. Denken kann man darüber, was man will.
Die SVP setzt sich vehement ein für den Beibehalt der heutigen Situation. Eben erst hat sie genau so vehement für die Beschränkung der Einwanderung gekämpft. Die Logik ist eigenartig. Gesteigerte Standortattraktivität ruft doch gleichzeitig nach ausländischen Investoren und Beschäftigten?
Würden die Pauschalbesteuerten wegziehen – wer sagt denn, die nachfolgenden Besitzer der betroffenen Liegenschaften würden nicht noch mehr Steuern generieren? Jedenfalls meint der freisinnige Gemeindepräsident von Küsnacht am Zürichsee (der Kanton Zürich hat die Pauschalbesteuerung für Ausländer 2009 abgeschafft, worauf 13 der 19 Betroffenen aus Küsnacht wegzogen) zur heutigen Situation: „Wir weinen ihnen keine Träne nach.“
Argumente, Gegenargumente
Die Steuerhoheit soll bei den Kantonen bleiben, monieren die kantonalen Finanzdirektoren, sie sind gegen ein „Diktat“ von Bern. Immer wieder hört man auch – so am 4.11.2014 im Tagesgespräch auf Radio SRF1 –, strukturschwachen Regionen, Berggemeinden und Randgebieten sei eine faire Chance zu geben. Da stellt sich dann doch wohl die Frage, wie die Gestaden des Lac Leman, Dörfer und Städte wie Zermatt oder Verbier, Lugano, Ascona, Genf, St. Moritz, Pontresina, Gstaad als strukturschwach einzuordnen sind. Sind es doch genau die Kantone Waadt (1396), Wallis (1300), Tessin (877), Genf (710), Graubünden (268) und Bern (211), die die Liste der meisten pauschalbesteuerten Ausländer (Zahlen in Klammern) anführen.
In der NZZ am Sonntag stellt Felix E. Müller die Kardinalsfrage: Ist das System der Pauschalbesteuerung nützlich oder schädlich? Er sieht zwar, dass die Anzahl Pauschalbesteuerter innert 18 Jahren von 2730 auf 5634 angestiegen sei, wohl auch als Folge des interessanten Instruments im Standortwettbewerb (Zwischenruf des Autors: oder der Steueroptimierung?). Das Argument „Moral ist kein sehr geeignetes Kriterium um politische Sachprobleme zu beantworten“, dieses Argument könnte allerdings leicht missverstanden werden. Verwunderte Leserinnen und Leser stellen sich da vielleicht die Frage, in wieweit Moral sich nach der Nützlichkeit auszurichten hat oder doch eher nach ethisch vertretbaren Handlungsmustern.
Befürworter der Initiative sind der Ansicht, die Steuergerechtigkeit – Gerechtigkeit überhaupt – mache nicht Halt an den Gemeinde- und Kantonsgrenzen.
Standortattraktivität zählt mehr als Steuergerechtigkeit
National- und Ständerat sagen Nein zur Initiative. Meistgehörte Argumente sind: Kürzlich wäre die Bemessungsgrundlage zur Veranlagung Pauschalbesteuerter bereits erhöht worden (mind. Fr. 400‘000.--, resp. das Siebenfache des jährlichen Mietzinses), Furcht vor Abwanderung der Betroffenen, Schwierigkeit für die Schweizer Behörden, diese Personen korrekt zu veranlagen (!).
Die im November 2014 an alle Haushaltungen verteilte Extrazeitung „Schweizerisches Erfolgsmodell“ fährt eine altbewährte, schon fast kontraproduktive Angstkampagne. So sollen bei Annahme 22‘000 Arbeitsplätze bedroht und Steuerausfälle von über einer Milliarde Franken zu verschmerzen sein. Mit Arbeitsplatz- und Steuerverlust drohen seit jeher all jene, denen sachliche Argumente ausgegangen sind.
In der NZZ vom 7.5.2014 lesen wir im Kommentar zum Nationalratsentscheid: „Fakt ist, dass die Pauschalbesteuerung die Rechtsgleichheit ritzt […], dies geschieht allerdings in einem höheren öffentlichen, sprich volkswirtschaftlichen Interesse […] die Abschaffung der Pauschalbesteuerung führt mittelfristig zu einem geringeren Steuerertrag, entweder weil vormals Pauschalbesteuerte wegziehen oder wie sie bei einer ordentlichen Veranlagung weniger zahlen als vorher.“ Damit Leserinnen und Leser sich ein eigenes Bild machen können: die 5634 Pauschalbesteuerten kamen 2012 für 695 Millionen Franken Steuererträge auf. Das sind durchschnittlich 123‘358 Franken… Angesichts der immensen, betroffenen Vermögen schlicht lächerlich.
Kontraproduktive Standortförderung?
Ausgerechnet die liberale Denkfabrik AvenirSuisse überraschte im Juli 2014 Freund und Feind mit der Idee, „die Kantone sollten aufhören, mit Steuervergünstigungen Firmen in die Schweiz zu locken, die Personal benötigten, das in der Schweiz nicht zur Verfügung stehe“. Tatsächlich dürfte die dadurch ausgelöste Zuwanderung erheblich sein. Natürlich hat diese Episode mit der Thematik der Pauschalbesteuerung direkt nichts zu tun. Sie zeigt jedoch mit aller Klarheit, dass Standortförderung und –attraktivität im Nachgang zum Volksentscheid vom 9. Februar 2014 nicht mehr isoliert betrachtet werden dürfen.
Sonderbehandlung nicht gleich Sonderbehandlung
Der Bundesrat macht es einem nicht leicht. Einerseits befürwortet er auch weiterhin die Sonderbehandlung mobiler ausländischer Personen. Gleichzeitig präsentiert er mit der Unternehmenssteuerreform III ein Modell, das der Sonderbehandlung gewisser ausländischer Firmen den Garaus machen möchte. Während hier der Druck der EU gross ist, kann festgestellt werden, dass ähnliche Modelle wie die schweizerische Pauschalsteuer für Einzelpersonen innerhalb der EU gang und gäbe sind. Economiesuisse kommt zum Schluss, dass „unsere“ Pauschalsteuer tatsächlich eine Schweizer Eigenart sei. Aber zahlreiche Länder in Europa würden ähnliche Steuerprivilegien kennen. Erwähnt werden Grossbritannien, Malta, Irland. Und natürlich Monaco, wo Private gar keine Steuern bezahlten
Für die NZZ „muss unser Steuersystem natürlich dem Gerechtigkeitsempfinden entsprechen […], es hat zweifellos seine Defizite. Die Pauschalbesteuerung, bei allem Verständnis für gewisse Bedenken, gehört nicht dazu“. Gerechtigkeit ist eben relativ. „Auf weggezogene Pauschalbesteuerte folgen gute Steuerzahler. Diese Erfahrung machen Kantone und Gemeinden, die die Pauschalsteuer abgeschafft haben. Zwar verlieren sie die Steuern der reichen Ausländer, doch in deren Villen und Wohnungen ziehen andere Gutbetuchte ein, die normal Steuern bezahlen“ (NZZ, 30.10.2014).
„Diktat des Bundes“ - oder des Volkes?
„Die Pauschalbesteuerung sei tatsächlich eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“, meint Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Doch sie sei gerechtfertigt und es bestehe ein öffentliches Interesse.
Wie gross das öffentliche Interesse am Beibehalt des eigenartigen Konstrukts der Pauschalsteuer tatsächlich ist, werden wir am Abend des 30. Novembers 2014 wissen. Nicht auszuschliessen ist, dass das Volk wieder einmal anderer Meinung sein wird als die offizielle Politik.
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