Wieder einmal haben wir uns um Mitternacht draussen, bei klirrender Kälte, zugeprostet. Die herzlichen Wünsche sollen ein Jahr hinhalten, mindestens. „Gute Gesundheit!“ steht auf dem 1. Platz des Neujahrswunsch-Rankings. Weit abgeschlagen, auf Platz 137, findet sich der Toast „Gute Freiheit!“
Gesundheit und Freiheit, man hat sich an beides gewöhnt. Gesundheit scheint unser teuerstes Gut zu sein (auch im wörtlichen Sinn), die jährliche Kostenexplosion gehört inzwischen zum Schweizer Alltag wie Käse und Schokolade. Freiheit dagegen, mythenbeladenes helvetisches Gütezeichen, eignet sich weniger für „Arena“-Konfrontationen oder TeleZüri-Talks. Freiheits-Diskussionen sind deshalb aus den Schlagzeilen verschwunden. Ist Freiheit zu wenig kostbar? Im jährlich erhobenen Sorgenbarometer der Schweiz der CS (wo immer die gleichen Fragen gestellt oder nicht gestellt werden) ist von Freiheit schon gar nie die Rede.
„Die Zukunft der Freiheit“, Thema einer Podiumsdiskussion im Dezember 2010 lockte Hunderte von Interessierten ins geschichts- und freiheitsträchtige Zürcher Schauspielhaus. Tiefgründig wurde über die Vergangenheit und Gegenwart persönlich erfahrener Freiheit debattiert. Eine Minute vor Veranstaltungsende kam laut und leicht frustriert die Frage aus dem Publikum: „Was ist mit der Zukunft der Freiheit?“ Die Generalkonsulin neben mir nickte. „Ja, was ist mit der Zukunft?“ Die Zukunft der Freiheit ist offensichtlich noch schwieriger prognostizierbar als jene der Finanzinstitute und deshalb meiden vorsichtig-konservative Medienschaffende dieses Thema lieber. Doch, hier wie dort, sollten wir nicht nur über deren Vergangenheit diskutieren. Allerdings: Über die Zukunft ganz allgemein nach-, oder besser, vorzudenken ist risikobehaftet. Doch wir werden alle in der Zukunft leben.
Als Debattenersatz folgen deshalb hier zum Jahresbeginn ein paar Gedanken zur Zukunft der Freiheit. Erinnern wir uns, dass «Freiheit „ein Ganzes“ [ist], dass politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind».* Eine schrankenlose wirtschaftliche Freiheit, wie sie 2007 zur weltweiten Finanzkatastrophe führte, ist Gift für die Freiheit der Demokratien. Wer über die Zukunft der Freiheit spricht, muss es laut und deutlich sagen: Die wichtigste Aufgabe der Marktwirtschaft ist nicht allein die Schaffung von Wohlstand, sondern die Eröffnung von Möglichkeiten für Menschen, ihre eigenen Fähigkeiten zu nutzen und weiter zu entwickeln. Diese ganzheitliche Sicht der Dinge ist entscheidend.
Die politischen Aspekte unserer zukünftigen Freiheit sind vielschichtig. Wie ist zum Beispiel die Politikverdrossenheit in vielen westeuropäischen Ländern zu erklären, wenn gleichzeitig immer mehr Menschen am Tropf des Staates hangen, der ihnen „jederzeit und bedingungslos ein Leben in Würde“ zu garantieren hat? Da hiess es doch früher: Wes Geld ich nehm’, des Lied ich sing’. Oder wie erklärt sich der Erfolg einer Volkspartei, die uns Schweizern Sicherheit verspricht, wenn das nur zulasten der Freiheit möglich ist? Freiheit ist die Voraussetzung für Sicherheit, nicht umgekehrt. Natürlich gilt es in Zukunft auch allen Anfängen zu wehren, die falsch verstandene Volkssouveränität über Rechtsstaatlichkeit setzen. Zum Feind der Freiheit wird rasch, wer da mit populistischen Vereinfachungen auftritt. Und die Debatte darüber, warum einzelne Politiker unablässig das Volk gegen die Regierung („die da oben“) aufwiegeln, wäre abendfüllend und zukunftsweisend. Das verdeckte Kalkül dahinter muss in Zukunft transparent und durchschaut werden.
Beim Teilaspekt gesellschaftliche Freiheit sind wir Spitze. Das Cüpli als Lebenselixier, das SUV als Demonstrationsobjekt persönlicher Freiheit zum Durchqueren seelischer Wüsten, das scherbelnde Handy inmitten der Debatte über die Zukunft der Freiheit. Konsumrausch als Freiheitsattribut. Freiheit ist kein Konsumartikel. Oder ist gar unser Bedarf nach Freiheit verbraucht, sozusagen beim Shopping abhanden gekommen? Freiheit als Ganzes. Sie kann nicht länger nur für Partikularinteressen gepachtet werden. Wir alle können Einfluss auf diesen fragilen Schatz „Freiheit“ nehmen, indem wir uns im Alltag, in Familie, Nachbarschaft und Politik engagieren. „Man kann ja doch nichts verändern“ als kleinlaute Entschuldigung ist kein Freiheitsmanifest.
Dies sind einige Themen für die Zukunft unserer Freiheit. Mangels Podien führen wir diese Debatte im neuen Jahr als Selbstgespräche. E guets Nöis!
*Christoph Zollinger (2008) 2032 – Rückblick auf die Zukunft der Schweiz.