Internet sei Dank. Bill Gates2 heisst der Reformator des 21. Jahrhundert, „googeln“3 als Wort wurde erst 2006 im Duden überhaupt aufgenommen. Damit wurde die Basis gelegt zu einem der wichtigsten Merkmale der Moderne. Die Basis heisst Informationsmöglichkeit und –freiheit. Selbst autoritäre Nationen müssen kapitulieren – wenn für eine Idee die Zeit gekommen ist, gibt es keine Dämme dagegen.
Unserem Anliegen, besser verstehen zu wollen, eröffnen sich weitere, interessante Möglichkeiten in dem Moment wo wir realisieren, dass zu Beginn des 3. Jahrtausends der Ruf nach Transparenz gleichbedeutend ist mit jenem nach Wissen. Das Durchsichtigmachen eines unerklärlichen Zustands, das Durchscheinende von neuen Lösungen, beides verschiebt die einstige Orientierungslosigkeit in die Mottenkiste der Vergangenheit. Das neue Denken selbst ist Bewusstwerdung der eigenen Verantwortung. Noch sind die Resultate unseres Handelns oft unverständlich, ja kontraproduktiv – weil sie in einer neuen Zeit mit veralteten Werkzeugen erschaffen wurden. Doch wir brauchen keine Hornochsengespanne mehr, um die Äcker zu pflügen.
Kann man jetzt gar von einer vierten Dimension sprechen? Wenn die dreidimensionale, perspektivische Raumbezogenheit ihrerseits durch die Integration der Zeit erweitert wurde, ist ja wohl darin die vierte Dimension schon Tatsache. Die Transparenz wird also – im Zeitalter des Internet – als Manifestation des Zukünftigen, rasch veraltete Normen durchdringen, man könnte auch sagen entlarven. War diese Prognose um die Mitte des 20. Jahrhunderts noch Spekulation, ist mit dem Siegeszug des Internet die technische Applikation dieser geistigen Bewegung schon weit fortgeschritten.
Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, dass damit auch die perspektivische Ausrichtung selbst erweitert wird: Neben den „gerichteten“ Blick tritt die aperspektivische Betrachtungsweise, also das gleichzeitige Betrachten aus verschiedenen Blickwinkeln, wie es Pablo Picasso in der Kunst schon im letzten jahrhundert etabliert hat (was aber vielfach nicht verstanden wurde). Übertragen auf unseren Alltag könnte das heissen, dass die fixierte Betrachtungshaltung eines Problems aus nur einem Blickwinkel dem neuen Sehen, Denken und Verstehen von verschiedenen Blickwinkeln her Platz machen müsste. Wir hätten dann „Das Gespräch am Runden Tisch“, eine Errungenschaft der letzten Jahre mit Ziel: Lösung statt Blockade. Durchsicht statt Kurzsicht. Transparenz statt Divergenz.
Was heisst nun konkret vermehrte Transparenz im Alltag? Fluchtgelder, Steueroasen, Pauschalsteuerabkommen werden es schwer haben; wenn nicht der „Gläserne Bürger“ so kommt doch die „Gläserne Bank“. Politische Parteienfinanzierung ohne Offenlegung der Quellen wird zunehmend kritisiert, schliesslich sind auch Subventionen längst deklarationspflichtig. Lebensmittel- und Hygienekontrollen in Gaststätten werden zukünftig am Restaurant-Eingang gut sichtbar angeschlagen werden müssen, statt dass hinter vorgehaltener Hand darüber gemunkelt wird. „Whistleblowing“4 ist längst salonfähig, ja wird begrüsst (ausser von den „Verpfiffenen“). Wettbewerbskommissionen in den USA, der EU, neuerdings auch in der Schweiz, decken verbotene Kartell- und Preisabsprachen auf, sprechen Millionenbussen aus und sorgen damit für die seit Jahrzehnten von den Konsumenten geforderte Transparenz. Parallelimporte werden legalisiert, gegen den erbitterten Widerstand der Marken-Hersteller. Und natürlich, was gerade wir Schweizerinnen und Schweizer mittlerweile am eigenen Leib erfahren mussten: Die geheimen Gespräche zwischen Bundesrat und Bankenvertretern, noch hinter verschlossenen Türen geführt, sind ein Armutszeugnis für eine moderne Demokratie.
Diese Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Das Schöne daran: Mit jeder neuen Linie, die angefügt wird, verbessert sich die Transparenz.
1 Christoph Zollinger: Die Glaskugel-Gesellschaft – Transparenz als Schlüssel zur Moderne
2 Bill Gates, Gründer von Microsoft, dem amerikanischen Internet-Giganten
3 „googeln“: im Internet (Google-Suchmaschine) surfen, nach Informationen suchen
4 Whistleblowing: „Verpfeifen von Falschverhalten“ - Angestellte, die Missstände an ihrem Arbeitsplatz publik machen, werden zunehmen belohnt, statt verurteilt