In unserem Land geniesst das Thema Steuern medialen Dauerbrennerstatus. Nachstehend soll ein Blick auf einen kleinen Teil des helvetischen Steuerdschungels geworfen werden. Es geht heute ausschliesslich um Einkommens-, Vermögenssteuern und Finanzausgleich.
Direkte Bundessteuer
Im Prinzip erhebt der Bund die direkte Bundessteuer (Einkommenssteuer für natürliche Personen und Gewinnsteuer für juristische Personen). Im Prinzip. Schon befinden wir uns mitten im Dschungel. Mehr als eine Million Steuerpflichtiger, also ein Fünftel (Tendenz steigend), muss gar keine direkte Bundessteuer errichten. Denn obwohl diese Steuerpflicht für Verheiratete und Alleinstehende mit Kindern bei Einkommen von Fr. 30‘800.- beginnt, führen rund 50 Steuerabzugsmöglichkeiten dazu, dass über 10 Milliarden Franken jährlich auf diese Weise abgezogen werden können. Diese „Steuervergünstigungen sind schädlich, weil sie die Steuerbasis schmälern“, konstatierte im Herbst 2013 Avenir Suisse. Anders gesagt: diese Praxis setzt falsche Anreize, sie animiert zum Schuldenmachen. Aktuellstes Beispiel: die Hypothekarverschuldung in der Schweiz ist die zweithöchste aller Länder in Europa, knapp hinter Holland.
Kantonale Steuern
Unsere föderalistische Struktur bringt es mit sich, dass wir zurzeit 26 unterschiedliche kantonale Steuergesetze aufweisen. Dass dies zu einem aggressiven System „Kampf um Standortvorteil“ geführt hat und noch immer führt, ist bekannt. Die einen sprechen von ruinösem, die andern von äusserst segensreichem Steuerwettbewerb. Um die eklatanten Verwerfungen etwas zu lindern, wurde 2008 der neue nationale Finanzausgleich (NFA) eingeführt. Dieser setzt sich aus dem Ressourcen-, Lasten- und Härteausgleich zusammen. Und schon bestätigt sich die alte Erkenntnis, wonach „mehr desselben“ ein eigentliches Katastrophenrezept ist. Mehr Ungerechtigkeit mit mehr Harmonisierung bekämpfen zu wollen führt über kurz oder lang zu neuen Ungerechtigkeiten – eine Endlosspirale. Etwas irritierend wirkt in diesem Zusammenhang die offizielle Begründung des Eidg. Finanzdepartements (EFD), das den NFA als „eines der wichtigsten und grössten Reformprojekte der Schweiz, das die Weichen für die Erneuerung unseres uneffizient gewordenen politischen Systems stellt“, lobt.
Der nationale Finanzausgleich (NFA)
In Zeiten steigender kantonaler Haushaltdefizite – 2012: total 2,3 Milliarden Franken – und noch höherer erwarteter für 2013/2014, erstaunt es nicht, wenn die Töne der Verantwortlichen schriller werden. Wenn dann gar der kantonale Finanzdirektor des Tiefststeuerkantons Zug das Gebaren seines Nachbarkantons Luzern als „Steuerdumping des NFA-Saugers“ beklagt, zeigt sich: die Zeichen stehen auf Sturm. Die Nettozahler in den Umverteilungstopf des NFA sind irritiert.
Sie beanstanden insbesondere, dass sich für die Nehmerkantone Massnahmen zur Verbesserung ihrer Steuerbasis nicht lohnten. Frank Bodmer, PD an der Universität Basel meint in der NZZ dezidiert: „Man kann deshalb von einer eigentlichen Finanzausgleichsfalle sprechen, die es für die ressourcenschwachen Kantone als vorteilhaft erscheinen lässt, in einer Situation der Abhängigkeit vom Ressourcenausgleich zu verharren“.
Bei der Einführung des neuen NFA standen u.a. folgende Ziele im Vordergrund: Verringerung der Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kantone, Steigerung der Effizienz bei der Aufgabenerfüllung im Bundesstaat (!), Stärkung der kantonalen Autonomie oder die Schaffung fairer Voraussetzungen für den Steuerwettbewerb. Wenn die Stärkung der kantonalen Autonomie sogleich für Steuersenkungen verwendet wird, darf aber darüber nachgedacht werden, ob das nicht eher ein Resultat der „Kategorie der falschen Anreize“ darstellt.
Eine weitere Frage scheint langfristig gewichtiger zu sein. Die vielen kleinen und relativ „armen“ unter den 17 Nehmerkantonen sind bequem in der Lage, die neun Geberkantone jederzeit zu überstimmen und auf diese Weise zu immer höherer Umverteilung zu zwingen.
Diese föderalistischen Besonderheiten sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwei Drittel des 4,8 Milliarden schweren Umverteilungstopfs eh durch den Bund geleistet werden – das heisst, direkt durch Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Zweiter Wirksamkeitsbericht
Im zweiten „Wirksamkeitsbericht“, der die Zielerreichung des Systems untersucht, schlägt der Bundesrat Mitte März 2014 zwar eine leichte Reduktion der Ressourcenausgleichszahlungen durch die Geberkantone vor. Er geht jedoch auf die anerkannten Systemmängel nicht ein und schlägt deshalb auch keine von den Geberkantonen gewünschten Korrekturen vor.
Unerwartete Auswirkungen
Vor allem die Kantone Zug, Schwyz, Luzern senden seit einiger Zeit verbale Attacken über ihre Kantonsgrenzen. Sie sorgen sich zum Beispiel um die Fairness des Finanzausgleichs. Ausgerechnet jene kantonalen Finanzdirektoren, die den gnadenlosen Steuerwettbewerb auf ihre Fahnen geschrieben haben, werden zunehmend nachdenklich. Dass die Städte Zug und Luzern neuerdings Defizite erwarten – nicht zuletzt wegen Steuersenkungen – macht nervös.
In Luzern wirbt die SP mit einer „Initiative für gerechte Steuern“ gegen die kantonale Tiefsteuerstrategie (Luzern hat mittlerweile die schweizweit tiefsten Unternehmenssteuern). Im Kanton Schwyz stellt der Bauvorsteher die eigene Politik der tiefen Steuern und des hohen Wachstums in Frage. „Baulandpreise, Wohnungsmieten, Krankheitskosten steigen und steigen – Bahn und Strassen sind morgens und abends übervoll“, beklagt er sich in der NZZ. Fast ketzerisch fragt er, ob Wachstum für den Staat überhaupt eine Zielsetzung sein könne. Auch der Vizepräsident der CVP Schwyz gelangt via Medien an sein eigens Volk: „Die Steuerpolitik ist zu einem unreflektierten Selbstläufer geworden: Wir locken jährlich Tausende in die helvetische Steueroase und geben uns nicht Rechenschaft, wieso“, gibt er im TA zu bedenken.
Ein nachdenklicher Zuger Stadtrat Andreas Bosshard meint: „Faktisch haben wir eine zweigeteilte Gesellschaft – auf der einen Seite die Zuger, die schon lange hier leben, auf der anderen Seite die zugezogenen Expats. Es gibt eine regelrechte Entfremdung.“ Offensichtlich spalten Zuzüger aus Russland, den USA und der EU den reichsten Kanton der Schweiz. Auch der Zuger Finanzdirektor erklärt freimütig: „Ich bin auch dafür, dass sich die Wirtschaft entwickeln soll. Es gibt jedoch auch noch andere Werte als Geld, welche im Leben eine Rolle spielen.“
Zeichnet sich da ein langsames Umdenken ab? Wird – besser spät als nie – erkannt, dass tiefe Steuern die Steuerpflichtigen in einem Ausmass steuern, das nicht beabsichtigt war? Entwickeln sich Standortvorteile bei vertiefter Betrachtung nach einiger Zeit zu Nachteilen für die angestammte Bevölkerung?
Bundessubventionen
Bei der intensiven Diskussion um gerechte Steuern und fairen Finanzausgleich darf ein Punkt nicht vergessen werden. Der Bund verteilt jährlich rund 35 Milliarden Franken Subventionen, wovon 10 Milliarden direkt an die Kantone für Strassenbau, Universitäten, Landwirtschaft etc. Ein Blick auf die Aufstellung der Finanzverwaltung, wie viele Transferleistungen die Kantone vom Bund insgesamt erhalten, zeigt etwa den Kanton Zug als fünftgrössten Empfänger, was doch überraschen mag. Dagegen sind auch bei dieser Betrachtung Graubünden und Uri die grössten Empfänger. Uri bezieht 43.4% seiner Einnahmen aus Bundessubventionen.
Gemeindesteuern und interkantonaler Finanzausgleich
Jede Gemeinde ist autonom bei ihrer Steuerfussfestlegung. Die Auswirkungen sind vergleichbar mit jenen auf kantonaler Ebene. Sie sollen gemindert werden durch den kantonalen Finanzausgleich. Im Kanton Zürich ist dieser relativ modern konzipiert. Der Steuerfuss als ein von der Gemeinde direkt beeinflussbares Kriterium dient nicht mehr als Lastenindikator. Trotzdem wird Kritik laut. Zwei Beispiele dazu aus den Kantonen Zürich und Bern.
Der Finanzvorstand der Stadt Dietikon (Kanton Zürich) äussert sein Unbehagen. Unhaltbar sei es, wenn kleinere Gemeinden aus dem Ressourcenausgleich Zuschüsse erhielten und damit ihre Steuern senkten. Regensdorf (Kanton Zürich) organisierte Ende November 2013 eine Zusammenkunft kommunaler Finanzchefs zum Thema Finanzausgleich. Bezogen auf die steigenden Soziallasten seiner Gemeinde kritisierte er, es dürfe nicht sein, dass die Gemeinde über falsche Mechanismen oder fehlende Anreize im Finanzausgleich dafür bestraft werde, wenn sie – zufolge relativer Anonymität und älterer Bausubstanz - sozial schwächere Personen anzöge.
Am Beispiel des Kantons Bern weist Rudolf Strahm auf dortige Ungereimtheiten. 339 Nehmergemeinden stehen 41 Gebergemeinden gegenüber. Die bernische Regierung versuchte zwar mit ihrer „Wirtschaftsstrategie 2025“ eine gewisse Schwerpunktbildung der Wirtschaftsförderung, „doch eine Allianz von ländlichen Vertretern unter SVP-Führung pfiff die Regierung zurück“ (TA 29.10.2013). Und so passiert es, dass der Kanton, der in den nächsten Jahren eine halbe Milliarde Franken einsparen sollte, die Motorfahrzeugsteuern auf das schweizweit fast tiefste Niveau senkte und die Handänderungssteuer für kleine Liegenschaften beseitigte.
Fazit
Im schweizerischen Steuerdschungel lauern Tücken, die in der Dunkelheit des Urwalds gerne übersehen werden. Lichten sich einmal die Bäume, werden Gefahren sichtbar, vor denen niemand gewarnt hat. Das war nicht voraussehbar, sagen dann die lokalen Touristenführer, die kommunalen und kantonalen Finanzchefs. Dass falsche Anreize unbeabsichtigte Folgen haben, wussten allerdings Philosophen, Psychologen, Soziologen schon lange - und neuerdings auch Kommunikationswissenschaftler und Politologen.