Der Bundesrat rotiert in Panik. Die politischen Parteien überbieten sich mit ad-hoc- und fragwürdigen Ratschlägen. Die Medien kritisieren die Regierung. Die Bevölkerung ist gespalten. Klare Köpfe sind gefragt. Könnten alle Beteiligten erklären, statt behaupten? Können wir die Turbulenzen durchschauen?
Versuch eines Überblicks
Wenn wir versuchen, aus der Optik der kleinen Schweiz die Gross-Politlage der Welt zu beurteilen, werden wir feststellen, dass «unser» westlich geprägtes, liberales Demokratieverständnis momentan weltweit übertüncht wird durch autoritäre «Geschäftsmodelle» selbsternannter, männlicher Führer, die sich einen Deut um die über Jahrhunderte entwickelten demokratischen Errungenschaften kümmern. Die liberalen Wohlstandsgesellschaften wirtschafteten während Jahrzehnten erfolgreich und hinterliessen ein manchmal verwöhntes Publikum, das überzeugt war, dass es auch in Zukunft immer weiter nach oben ginge, die Einkommen steigen und die Armut sinken würden.
Bevor wir die Trump-Groteske genauer anschauen, scheint es doch wichtig, einen kurzen Blick auch auf zwei weitere Kriegsprotagonisten zu werfen. Der russische Präsident Putin marschiert aufrecht und kalt lächelnd auf einem blutroten Ehrenteppich von einem Gipfeltreffen zur nächsten Friedenskonferenz, obwohl er nicht im Traum daran denkt, den Menschenleben kostenden Überfallskrieg gegen die Ukraine auch nur für einen Tag zu unterbrechen, geschweige denn, einem Friedensabkommen zuzustimmen. So geht Aggression im 21. Jahrhundert – und so geht sie seit Jahrtausenden – im alten Griechenland wurde das Verlangen nach Anerkennung einzelner Männer mit «Thymos» bezeichnet.
Eher kleiner im Machtbewusstsein, als von Rachegelüsten getrieben, führt Ministerpräsident Netanyahu Israel mit seinem völkerrechtswidrigen Rachefeldzug gegen Millionen von Menschen im Gaza-Streifen in eine weltweite Isolation. Selbst im eigenen Land ist diese von ultrarechts getriebene
Regierung mittlerweile in der Minderheit. Kompromisslosigkeit, Eigensinn und Unbelehrbarkeit sind Netanyahus Kompetenzen: Irgendwann ist die Notwendigkeit der Rache für das grausame Hamas-Massaker an Teilen der jüdischen Bevölkerung 2023 – unentschuldbar auch dieses – nicht mehr nachvollziehbar.
Schliesslich Donald Trump, zum zweiten Mal Präsident der USA, der mit seinem skurrilen Weltbild mentale Angriffsattacken gegen Freund und Feind führt, der statt mit Drohnen mit Zöllen auf alle schiesst; der seinen selbsterfundenen Handelsbilanz-Krieg ohne Rücksicht auf eigene Verluste zur obersten Maxime seiner willfährigen Regierungsmitglieder macht. Er versinnbildlicht die fatale «Macht statt Recht»-Doktrin, wobei er auf besten Weg ist, unsere einstige Vorbild-Demokratie mit seinen breiten Golfschuhen zu zermalmen.
Persönliche Motivations- und Hintergründe
Es kann vielleicht nichts schaden, gerade am Beispiel Trump zu versuchen, dessen Haltung zu durchschauen, immerhin fordert sein unberechenbares Kommando (bisher) keine Tausende von Kriegsopfern, die anderswo in ihrer Heimat ratlose, verzweifelte Familien hinterlassen haben. Andererseits haben wir kapiert, dass er die seltsame, amerikanische Rechtsauffassung kraft Macht und Grösse rücksichtlos auch anderweitig auf der Welt durchzusetzen versteht.
Die USA haben verschiedene Probleme, die sie zu lösen versuchen. Der Masterplan dazu: Reduktion der unglaublich hohen Staatsverschuldung, auch, da deren Zinszahlungen grotesk zunehmen; die Deindustrialisierung weiter Gebiete im Innern der USA infolge der Globalisierung (Auslagerung Hüter der globalen Ordnung) der Produktionsstätten durch Rückholung der Produktion aus dem Ausland zu stoppen. Und: «Das übergeordnete Ziel ist, dass sie ihre Rolle als Hegemon loswerden wollen, weil sie die Kosten als Hüter der globalen Ordnung nicht mehr tragen können» (Konrad Hummler in der NZZ). Hat Europa das gehört?
Der unberechenbare Machtpolitiker Trump mit seiner immer wieder zur Schau gestellten Verachtung für Universitäten und Intellektuelle hat wohl die längst von Profis erstellten Machbarkeitspläne zur obigen Problemlösung nie beachtet, geschweige gelesen. Er agiert aus dem Buch, mit ungewissem Ausgang, in diesem Fall gezielt auf die Rechtsstaatlichkeit und das alles «ist Teil einer gross angelegten Kampagne, mit der die Trump-Regierung die Institutionen des Rechtsstaates und der Demokratie schleifen will» (Tages-Anzeiger).
Konsequenzen des «Big Beautiful Bill» (BBB)
Donald Trumps Ziel ist es auch, den Dollar abzuwerten um die US-Exporte zu verbilligen und anzukurbeln. Mit einem Werteverlust von 11 Prozenten des Dollars seit Januar 2025 ist er da bisher erfolgreich. Allerdings schwächt er auf diese Weise den Dollar als Leitwährung der Welt – «die eigentliche Superkraft der Amerikaner» ((NZZ am Sonntag). Gleichzeitig mit der Erhöhung der Schulden um 3,4 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren, wie in diesem BBB-Budget vorgesehen, «könnte die Schuldenquote von heute 124 auf 143 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen». Was das heisst: Schon heute müssen die USA für die Zinszahlungen ihrer Schulden täglich (!) rund drei Milliarden Dollar aufbringen.
Und die Schweiz?
Wenn die NZZ meinte, «die Schweiz hätte keine Aussenpolitik, sondern wurstle sich kleinkariert durch und das räche sich im Zollstreit mit Trump», hat Gujer für einmal recht, denn seit Wochen füllen sich die Printmedien mit Kommentaren zur Situation, die diesen Eindruck bestätigen. Die Identität der Schweiz sei gefährdet, orakeln die Einen. Die Unterhändler hätten Trump unterschätzt. Karin Keller-Sutter hinterlasse einen Scherbenhaufen, meinen andere, wohl nicht ganz zu Unrecht. Die Schweiz müsste Gegenmassnahmen ergreifen, fordern nicht Wenige, andererseits ist eine Amerika-Expertin überrascht, wie heftig in der Schweiz reagiert wurde und zu guter Letzt soll jetzt ausgerechnet … Guy Parmelin Trump besänftigen; denn es fehlt ja nicht an Ideen in diesem Handelsstreit. Ob allerdings der SVP-Politiker und Bauernsympathisant kapieren will, dass gerade die Schweizer Landwirtschaft mit ihrer Abriegelungspolitik an der Grenze gegen mehr amerikanische Rindfleischimporte ein Dorn in Trumps Augen ist, scheint doch eher ausser Reichweite. Und auch das Gejammer der Gruyère-Branche ist zu relativieren: Geht man von einer realistischen Kalkulation von 10% alter gegenüber 39% neuer Zollbelastung aus, erhöht sich der Detailhandels-Verkaufspreis (bei gleichbleibender Vertriebsmarge) um ganze 11,66 %.
Wie weiter?
Ich hüte mich, Zukunftsprognosen in dieser «verkachelten» Situation zu machen. Immerhin zerpflückt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz die Pläne des Weissen Hauses für eine neue Wirtschaftsordnung. Andere Beobachter erinnern daran, dass Trump nur dort politische Wirkung erzielen kann, wo andere sich unterwürfig zeitigen. Rechtswissenschaftler in den USA bezeichnen die von Trump verhängten Zölle als obszön – ohne ökonomische Logik, sondern das Resultat persönlichen, ideologischen Kalküls.
Als Verfechter der These, dass wir uns weltweit schon seit Jahren mitten in einem gewaltigen (IT-getriebenen) Epochenwandel befinden und dass dies u.a. auch für die Schweizer Politik und Wirtschaft die konsequente Fokussierung auf eine neue Weltordnung bedingt, sind entsprechende neue Strategieszenarien in der Wirtschaft längst im Entwicklungsstadium – aber in unserer Bundespolitik?
Wir sind uns wohl einig, dass Trump den Rechtsstaat strapaziert, wenn nicht versucht, ihn auszuhebeln. Es bleibt die Hoffnung, dass sich Regierung, Gerichte und Wissenschaft in den Vereinigten Staaten letztlich vom selbsternannten CEO der Amerika AG nicht unterwerfen lassen.