Der Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ist eine Schweizer Erfindung, genannt "Bankgeheimnis." Ein nationaler Exportschlager wie Schokolade, Käse und Uhren. Nur: dass Un-Recht in geltendem Recht in unserem Land geschützt wird, ist für viele Menschen im In- und Ausland nicht verständlich. Dass die Tradition des gesetzlich geschützten Unrechts unserem Image im Ausland schadet, sollte uns nicht erzürnen, sondern zum Nachdenken animieren. Eine mythenverklärte Branche stilisierte während Jahrzehnten "das Schweizer Bankgeheimnis" zur unantastbaren Festung hoch. Die Verteidigung mit Zähnen und Klauen sollte den Anschein erwecken, als wären die schwarzen und weissen Gelder aus der ganzen Welt hier gebunkert, weil sie in der Alpenfestung für alle Zeiten sicher wären. Der Aufschrei der politischen Parteien nach dem UBS/USA-Kuhhandel ist Ausdruck unserer provinziellen Politik.
Ignoriert wurden in unserem Land von den verantwortlichen Banken- und Politikkreisen zwei grundlegende Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, die die Welt verändern. Globalisierung und Transparenz. Der Fluss der Milliarden aus der ganzen Welt in unser Land währte uns in trügerischer Sicherheit. Der Fluss wurde gespiesen von ehrbaren Leuten und von solchen, die mit unlauteren Mitteln zu viel Geld gelangt waren. Über Letztere brauchen wir nicht zu diskutieren, es ist traurig genug, dass wir das zulassen. Die Ersteren können unser Land als neuen Wohnort wählen und dann ihren Geschäften nachgehen. Wenn aber ihr Ziel ist, in der Heimat Steuern zu umgehen ("Steuer-Optimierung"), wird die Sache kritisch. Bei den involvierten gigantischen Beträgen ist unsere offizielle Schlupfloch-Politik ein "unfreundlicher" Akt gegenüber befreundeten Nationen. Wider besseres Wissen entwickelte sich das helvetische "Nichts-sehen, nichts hören, nichts sagen" zum Markenzeichen des Finanzplatzes. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen.
Jetzt können wir verhandeln, debattieren, nachgeben – alles ist falsch. Das "unverhandelbare Bankgeheimnis" (offizielle Bundesratsprache), das gegen das Rechtsempfinden vieler normal Denkender verstösst, ist eben kein Ruhmesblatt. Statt von Angriff auf den Rechtsstaat zu sprechen, wäre eher die Einsicht am Platz, dass es sich dabei um kein hohes Rechtsgut handelt. Dass sich der Bundesrat einspannen lässt mit dem Hinweis auf die enorme Wichtigkeit des Bankenplatzes ist eine traurige Realität. "Geheim" verweist auf fehlende Transparenz und damit gehört dieses Relikt in vergangene Jahrhunderte. Seit IT das Global Village durchschaubar gemacht hat, ist diese Geheimniskrämerei lächerlich.
Nun bläst ein bissiger Wind ins Land. Bereits haben Schweizer Bürgerinnen und Bürger in eigener Regie im Kanton Zürich einen Ableger dieser Geheimniskrämerei wegoperiert, ein weiteres Unrecht – die privilegierte (Nicht-)Besteuerung reicher niedergelassener Ausländer. Der Trick ist durchschaut. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung profitiert nicht, sondern wird durch diese Schweizer Spezialität selbst benachteiligt. Millionen von Schweizerinnen und Schweizern finden: Legal ist nicht immer legitim. Und dass wir die schönsten Landparzellen längs der Seen für Ausländer "reservieren", die sich diese Sonnenplätzchen leisten können, weil sie bei uns weniger Steuern zahlen als zuhause oder gar als wir selbst – was soll eigentlich daran so unglaublich clever sein?
Wenn ein Kunde im Supermarkt "vergisst", seine Tafel Schokolade aufs Band zu legen und zu bezahlen ist das Hinterziehung, nicht so schlimm, ein offizielles Kavaliersdelikt sozusagen? Wenn der Kunde an der Kasse eine Tafel Schokolade bewusst in der Manteltasche versteckt ist das Betrug. Wo ist der Unterschied?
Die Rückzugsgefechte zur Verteidigung des "Bankgeheimnisses" in der jetzigen Form dauern nun seit vielen Jahren an. Besonders laute Politiker beurteilen das Nachgeben gegenüber den USA als Schande und als Abgesang auf die Rechtssicherheit im eigenen Land. Seit jedoch Milliarden an Schweizer Steuerfranken zur Rettung unseres Bankensystems aufgewendet werden (für diesen Zweck haben wir wohl die Steuerrechnung nicht bezahlt) sind wir alle mitverantwortlich dafür, dass wir Zukunftsinvestitionen tätigen, von denen die nächsten Generationen profitieren werden. Steuerhinterziehung und Steuerbetrug – beides gehören nicht in diese Kategorie der Nachhaltigkeit.
Der Ruf von "Insidern" und Bankenprofessoren, das Bankgeheimnis sei gesetzlich zu verankern um vor ausländischen "Erpressungen" geschützt zu sein, ist ein weiterer, letztlich vergeblicher und unzeitgemässer Befreiungsschlag. Zuerst ist das "Bankgeheimnis" so umzubauen, dass es der Ehrlichkeit seiner Kunden dient und nicht zu Missbräuchen anstiftet. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir uns überlegen, ob es weiterhin sinnvoll ist, befreundete Staaten vor den Kopf zu stossen – zugunsten einer kleinen Gilde und zulasten der grossen, überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Die Schweiz als Insel im "Meer" westlicher Staaten sollte sich nicht das Meer zum Feind machen. Das hat auch Liechtenstein mittlerweile gemerkt.