Heimtückischer Zucker
Denken wir kurz an Weihnachten zurück. Herrliche Zeiten! Überall Pralinés, Kuchen, Schokokugeln, Guetsli. Vielleicht haben Sie sich bemüht, vergeblich bemüht, zu bremsen? Erfolglos?
Doch bedenken wir auch, dass diese Produkte nur die Hälfte dessen ausmachen, was wir an Zucker konsumieren? Die andere Hälfte konsumieren wir wohl alle in getarnter Form: Müesli oder Cornflakes zum Frühstück, aufgepeppt mit Fruchtsaft, Fruchtjoghurt zum Znüni, Suppe und Brot als Lunch, zum Zvieri Sandwich und Red Bull, beim Nachtessen Bio-Nussschinkli an feiner Sauce, gut gewürzt und dazu ein Glas Rotwein. Überall ist Zucker drin.
Der Zuckerverbrauch in der Schweiz beläuft sich auf geschätzte 40 Kilo pro Person und Jahr. Vor 130 Jahren waren es noch 16 Kilo. Natürlich ist Zucker nicht per se ungesund. Im Gegenteil: Der Mensch braucht ihn zum Leben, denn er ist ein wichtiger Energielieferant. Es kommt allerdings auf die Menge des Zuckerkonsums an. Nur zu viel ist ungesund.
Schädliche Subventionen
Unsere rund 4500 Bauern, die noch Zuckerrüben anbauen, erhalten vom Bund 2900 Franken pro Hektare, sofern es sich um biologischen Zuckeranbau handelt. Erst im vergangenen Herbst erhöhte das Parlament diese Subvention erneut und verlängerte sie bis 2026. Daneben kostet es uns Steuerzahler einen Mindestzoll von 70 Franken pro Tonne Zucker, die importiert wird. Zum Schutz der einheimischen Landwirtschaft. Trotzdem rentiert die Zuckerproduktion in der Schweiz überhaupt nicht. Würden wir den Zucker importieren, käme das viel billiger.
Dass wir den Zuckeranbau subventionieren – also indirekt Subventionen für ein ungesundes Leben ausrichten –, ist schlecht begründbar. Dass wir anschliessend im Gesundheitswesen Milliarden für die Behandlung von Krankheiten ausgeben, die nachweislich durch übermässigen Zuckerverzehr verursacht werden, ist unverständlich.
Die Lobbygruppen im Parlament
Wussten Sie im Übrigen, dass von diesen Subventionen auch die Produzenten von raffiniertem Zucker, Süssgetränken und Fertiggerichten profitieren (Red Bull, Rivella, Nestlé, Lindt u.a. übernehmen mehr als zwei Drittel der Ernte)? Wie immer, wenn in unserem Land ausgewählte Empfänger von Subventionen verwöhnt werden, steht am Anfang dieses Vorgangs das Parlament, die Politikerinnen und Politiker. Diese Verstrickungen zwischen Politik, Wirtschaft und in diesem Fall Landwirtschaft sind längst bekannt.
Gemäss «Republik» sitzen in der Lobbygruppe für Süssgetränke sieben Parlamentarier. Doch wir wissen es längst: Die mächtigste Lobbygruppe in unserem Parlament ist jene der Landwirtschaft. Diese sorgt dafür, dass unsere lieben Bauern und Bäuerinnen von einer rückwärtsgerichteten Truppe von Ewiggestrigen mit verfallenen Rezepten aus der Vergangenheit zukünftige Anforderungen einer nachhaltigen Landwirtschaft weiterhin ignorieren. Zu dieser Lobby gehören natürlich auch die Verteidiger des Zuckerrübenanbaus.
Zuckerrübenanbau in der Schweiz
Einem Newsletter der «Vision Landwirtschaft» entnehmen wir: «Die Zukunft des Schweizer Zuckers steht zur Debatte. Denn der Anbau von
Zuckerrüben droht trotz einer sehr hohen staatlichen Stützung seine wirtschaftliche Attraktivität zu verlieren. Grund: die fallenden Zuckerpreise auf dem Weltmarkt. Dank einer aufwändigen Imagekampagne der Zuckerindustrie sind die gravierenden ökologischen Probleme bislang untergegangen.»
Dass in der Schweiz heute noch Zucker angebaut wird, ist politisch gewollt. 1,5 Millionen Tonnen Zuckerrüben werden jährlich zwischen Oktober und Dezember geerntet. In Aarberg und Frauenfeld werden sie zu Zucker verarbeitet. Der Produktionsprozess «hat sich seit der Gründung der Fabrik Aarberg im Jahr 1912 kaum verändert» (swissinfo.ch). Und kostet den Steuerzahler viel – rund 70 Millionen Franken pro Jahr. Pro Hektare sind das gegen 4000 Franken – mehr als für die meisten anderen Kulturen (Vision Landwirtschaft)
Ökologische Aspekte wurden bisher aus der Diskussion weitgehend ausgeklammert. Tatsache ist, dass beim Zuckerrübenanbau besonders viele Pestizide eingesetzt werden. Darunter sind einige der giftigsten
Wirkstoffe überhaupt, von denen wiederholt gefordert wurde, dass sie endlich verboten werden. Zwar wurde das Pflanzenschutzmittel Gaucho 2019 in der Schweiz verboten, doch hiess es darauf im Parlament, dass unsere Bauern deswegen 2020 einen Grosssteil ihrer Zuckerernte verloren hätten (!).
Zucker als Notvorrat?
Kopfschütteln muss auch ein weiteres Argument der Zuckerlobby auslösen. Immer wieder hört man bezüglich Landesversorgung, Zucker sei wichtig, um in Krisenzeiten die Schweizer Bevölkerung ernähren zu können, weil er auch in kleinen Mengen sehr viele Kalorien (hört, hört!) liefern könne. Sagt ein Vertreter der Schweizer Zucker AG: «Wir sind der Meinung, Zucker gehört zu einem vernünftigen Selbstversorgungsgrad.» Es darf gelacht werden.
Fragen über Fragen
Stellen Sie sich vor, Sie ässen täglich 27 Würfelzucker à 4 Gramm. Natürlich tun Sie das nicht. Doch – dies ist der ausgewiesene Durchschnittsverbrauch je Person in der Schweiz …
Eine Flut wissenschaftlicher Studien belegt den Schaden, den zu viel Zucker im Körper anrichtet. Die Vorwürfe sind vielfältig. Sie reichen von Fettleibigkeit und Diabetes über Herzinfarkt, Leber- und Nierenschäden bis hin zu Krebs.
Warum subventionieren wir den Anbau von Zuckerrüben überhaupt? Gemäss einer von der Schweizer Zucker AG in Auftrag gegebenen Studie sei der Schweizer Zucker 30 Prozent nachhaltiger als der in der EU hergestellte. Da fragen wir uns unwillkürlich, wie das berechnet wird, und denken an die alte Regel, wonach die Auftraggeber einer Studie meistens deren Resultat im Voraus «suggerieren». Jedenfalls widerspricht «Vision Landwirtschaft» den Schlussfolgerungen dieser Studie.
Warum zahlen wir happige Millionen an Zollabschöpfungen auf importierten Zucker, um den einheimischen Zuckerrübenanbau zu schützen? Die Versorgung der Schweiz im Krisenfall muss garantiert sein – dieser immer wieder gehörte Mythos – d.h. die strategischen Reserven sollten ausreichen, das Land während drei Monaten zu versorgen (siehe weiter oben).
Warum lassen wir uns dieses Millionen-Debakel-Geschäft vom Parlament überhaupt zumuten? Gemeint ist die hohe Subventionierung eines Produktes mit nachweislich gesundheitsgefährdender Wirkung, deren Folgen uns im Gesundheitswesen anschliessend weitere Milliarden jährlich kosten. Warum lassen wir zu, dass Red Bull jährlich auf diese Weise 10 Millionen kassiert (20min.ch).
Neuerdings fordern landwirtschaftliche Kreise – als Reaktion auf den verregneten Sommer 2021 – die Notfallzulassung von umstrittenen Pestiziden. Dies wurde zwar abgelehnt, doch es zeigt einmal mehr, wie problematisch und unzeitgemäss der einheimische Zuckerrübenanbau in unserem Land ist.