In diesen Zeiten der Corona-Pandemie werfen wir einen Blick zurück auf die Pest-Perioden des 14. – 19. Jahrhunderts in unserem Land. Wir tun dies und sind dabei beeindruckt, wie gewaltig das Leid war, aber auch, wie sich die gebeutelte Gesellschaft jeweils immer wieder aufraffte und das Ende der schweren Zeiten mit Festen feierte.
Die erste Pestwelle
(Quelle: Historisches Lexikon der Schweiz).
Die erste grosse Pestwelle traf kurz vor Mitte des 14. Jahrhunderts ganz Europa heftig und unvorbereitet. Der Schwarze Tod erreichte die Schweiz Ende 1347 von Süden her im Rhonetal und im Tessin. 1348 brach die Pest in den Städten des Mittellands aus. Danach blieb sie eine ständige Bedrohung: Alle 10 bis 20 Jahre traten grössere oder kleinere Epidemien auf. Die Eintrittspforten waren vor allem die Verkehrs- und Handelswege von Norden her über Basel und aus dem Westen über Genf. Hauptsächlich entlang der Transitrouten forderte die Pest ihre Opfer auch in Graubünden und im Tessin.
Das Krankheitsbild der Pest und die hohe Mortalität jagten den Menschen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit grosse Angst ein. Primär wurde die Seuche als Strafe Gottes für die sündige Menschheit interpretiert.
In Erwartung des Weltendes
(Quelle: Geschichte des Kantons Zürich, Band 1, WERDVERLAG).
Am Ende des 13. Jahrhunderts fand eine bemerkenswerte Entwicklungsperiode ihren Abschluss, die vor allem durch einen deutlichen Aufschwung in der Landwirtschaft gekennzeichnet war. Doch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts fand denn auch der Aufschwung, der mehrere Jahrhunderte angedauert hatte, ein jähes Ende. Starke Niederschläge in den Jahren 1315 und 1316 und in den vierziger Jahren, zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen, Heuschreckenplagen und schliesslich die erste einer Reihe verheerender Pestzüge wirkten sich katastrophal aus – die Krise, die das Spätmittelalter kennzeichnen sollte, machte sich schon voll bemerkbar.
In den Jahren 1347 – 1352 überzog die Pest erstmals wieder seit der Spätantike ganz Europa und führte zur wohl grössten demographischen Katastrophe in der bisherigen Geschichte des Kontinentes: Sie raffte einen Viertel bis einen Drittel der Bevölkerung hinweg. 1349 kam es zur ersten überlieferten Judenverfolgung: Die Angehörigen einer religiösen Minderheit wurden als angebliche Brunnenvergifter zu Sündenböcken gestempelt. […] Die Epidemie hinterliess – so Augenzeuge Guy de Chauliac (1363) – «die Häuser leer, die Städte verlassen, das Land verwüstet. Sitte und Recht zerfielen, Geisslerzüge zogen in Erwartung des Weltendes durchs Land und die Gläubigen beteten zu jenen Heiligen, von denen man sich Hilfe gegen den gächen Tod versprach».
Den markanten Einbruch, den der erste Pestzug 1348/1349 auf der Zürcher Landschaft verursachte, bezeugen einerseits archäologische Funde wie der Pestfriedhof in der Zürcher Altstadt, andererseits eine ausgesprochen drastische Schilderung in der Klingenberger Chronik aus dem 15. Jahrhundert: «[…] also, dass ganze dörfer, gassen und hüser öde stuondent, und was der grösst tod und das ungehortetst Sterben in allen landen, das man von anfang der welt uff ain zit allenthalb je vernam.»
Vier Pestzüge im 17. Jahrhundert
(Quelle: Geschichte des Kantons Zürich, Band 2, WERDVERLAG)
Vier in Art und Auswirkung unterschiedliche Pestzüge haben das 17. Jahrhundert wesentlich mitgeprägt: 1611/12, 1629/30, 1635/36 und 1667. Das ‘grosse Sterbend’, der ‘grosse Tod’, das ‘allgemeine Landsterben’, wie die Pest von 1611/12 schon von den Zeitgenossen etwa genannt wurde, forderte allein in der Stadt Zürich und den angrenzenden, nach Zürich kirchgenössigen Gemeinden 4864 Todesopfer; in Stadt und Land sollen insgesamt über 50'000 Menschen, mithin rund die Hälfte der Bevölkerung, umgekommen sein.
In Zürich setzte die Seuche im Frühjahr unter der armen Bevölkerung hinter dem Gräbli (Niederdorf) voll ein. […] Der Professor und Geistliche Jakob Breitinger nahm furchtlos und aufopfernd die Seelsorge für die Kranken auf, und nachdem er jeweils den ganzen Tag von Haus zu Haus, von Gasse zu Gasse unaufhörlich Kranke besucht hatte, warteten bei anbrechender Nacht noch fünf, sieben oder mehr Personen mit Laternen vor seiner Wohnung, um ihn zu Angehörigen zu führen. Oftmals traf er ‘tots und lebendiges in einem Gemach’ an. Der beinahe übermenschliche Einsatz und die damit verbundene Achtung im Volk verhalfen Breitinger zu eigentlicher Leadership in Stadt und Staat.
Flüchtlinge zu Tausenden
Rund 300 Jahre später berichten die Chronisten über den letzten grossen Pestzug.
(Quelle: Geschichte des Kantons Zürich, Band 2, WERDVERLAG)
[…] Unwillkürlich denkt man dabei an den letzten grossen Pestzug in jenem Jahr 1635, denn an der Wurzel der Pest sassen von pestkranken Ratten angesteckte Rattenflöhe. Die ohne Zweifel mit dem ausländischen Kriegsgeschehen in Zusammenhang stehende Pest kann als wohl schmerzhafteste Auswirkung des grossen Ringens für Zürich gelten. Auch ergossen sich Flüchtlinge zu Tausenden aus Südwestdeutschland in die Eidgenossenschaft.
Im Gegensatz zur Pest des 14. Jahrhunderts hinterliessen diese Epidemien keine über längere zeit spürbaren Lücken. […] Dem grossen Sterben folgte jeweils ein Heiraten sondergleichen. Der durch grosse Fruchtbarkeit bewirkte Bevölkerungsanstieg wurde verstärkt durch den Zuzug meist schwäbischer Dienstboten.
Der Rat [von Zürich] hatte beim Ausbruch der Pest einzelne Ratsmitglieder beauftragt, zusammen mit dem Stadtarzt die notwendigen Massnahmen vorzukehren. Daraus entwickelte sich nach 1704 ein ständiger Sanitätsrat. Die Zahl der Sanitätsräte wurde im 18. Jahrhundert erhöht. Die wichtigste Aufgabe bestand darin, Seuchen bei Mensch und Tier zu verhüten und notfalls zu bekämpfen. Zu diesem Zweck korrespondierte er mit vielen gleichartigen Behörden in der Eidgenossenschaft.
Während sich also im 18. Jahrhundert die kantonsübergreifenden Koordinationsaufgaben bei Epidemien so langsam entwickelten, scheinen wir auch drei Jahrhunderte später diesbezüglich noch immer gewisse Berührungsängste zu haben. Doch im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und Algorithmen besteht berechtigte Hoffnung, dass wir beides rasch abbauen können – zum Wohle aller.