Eigentlich müssten wir doch alle politischen Kräfte darauf fokussieren, das Land auf die Zukunft vorzubereiten. Stattdessen lenkt Markus Ritter, der begabte, wortgewaltige Nationalrat der Mitte und gleichzeitig diskrete Kutscher auf dem Bock des Heuwagens (Präsident des SBV), seine Supporter in die Gegenrichtung.
Die eidgenössischen Wahlen Oktober – Dezember 2023
Seit den Nationalratswahlen im Herbst 2023 haben wir noch mehr Parlamentarier und Parlamentarierinnen mit bäuerlichen Wurzeln in Bundesbern. Auch die Bundesratswahlen tragen den Bauernstempel. Schon im Herbst 2022 – anlässlich der Nachfolgewahl für Simonetta Sommaruga – liess die Agrarlobby verlauten, dass die Schwarznasenschaf-Liebhaberin Elisabeth Baume-Schneider «sich viel besser präsentiert habe als die Basler Ständerätin Eva Herzog» (NZZ). Mit den bekannten Folgen.
Im Dezember 2023 dann, nach den Hearings des SBV mit den Bundesratskandidaten, war bald klar, dass Jon Pult – nachdem er fatalerweise hatte verlauten lassen, dass seine Frau Vegetarierin sei und er wenig Fleisch konsumiere – bei den Bauern verloren hatte. Beat Jans, der gelernte Bauer, punktete – er ist ja bekannt für sein offenes Ohr für die Anliegen der Bauernschaft. Auch hier mit den bekannten Folgen …
Dazu muss man wissen: Mit den obenerwähnten Hearings ist die Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier gemeint. Im Dezember 2023 waren dazu vierzig National- und Ständeräte (alles Landwirte oder Funktionäre) eingeladen, das sind dann rund ein Sechstel aller Parlamentarier. Zur Erinnerung: Noch gerade 2,3 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung sind Bauern, sie erwirtschaften weniger als ein Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt). Dem Vernehmen nach werden dagegen Biobauern nicht mehr eingeladen; sie sind zu oft mit den Abstimmungsparolen des SBV nicht einverstanden.
Schweizer Bauern in der Subventionsfalle
Wenn die NZZ schreibt, die Schweizer Bauern seien «gefangen in der Subventionsfalle», ist das sicher zutreffend. Das Blatt publizierte dazu eine eindrückliche grafische Darstellung: An zweiter Stelle gleich hinter Norwegen liegt die Schweiz mit 45 Prozent auf dem unrühmlichen zweiten Platz, was die Höhe der staatlichen Unterstützung in Prozenten des landwirtschaftlichen Einkommens betrifft. Am anderen Ende der Skala der erhobenen 34 Länder stehen die USA (ca. 7 %) und Brasilien (ca. 3 %).
Noch etwas geht vielfach vergessen: Rund die Hälfte eines bäuerlichen Verdienstes stammt vom Bund; es sind Milliarden an Subventionen/Direktzahlungen. Nochmals gleich viel bezahlen Konsumentinnen und Konsumenten – ohne dass es an die grosse Glocke gehängt wird – aufgrund des Grenzschutzes: Importierte Lebensmittel werden künstlich verteuert, was die Verkaufspreise massiv verteuert, alles zum Schutz der einheimischen Landwirtschaft.
Abgerundet wird dieses eigenartige, nostalgische Bild andererseits durch die omnipräsente TV-Werbung auf SRF: «Gut, gibt’s die Schweizer Bauern» oder «Natürlich, Schweizer Fleisch». Natürlich – bezahlen wir Konsumentinnen und Konsumenten auch diese Werbung.
Erfolgreicher Strippenzieher Ritter
Ob die Erfolgssträhne Ritters dem Land zum Wohl gereicht, ist mehr als fraglich. Einerseits bekämpft er seit Jahren alle Bemühungen für mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft, versenkte die Pestizid-, Massentierhaltungs- und Trinkwasserinitiative; andererseits – ebenfalls seit Jahren – gelingt es ihm immer wieder, zusätzliche Millionen von Subventionen auf die Mühlen seiner Bauern zu leiten. Es ist sonnenklar, dass er die Schweiz als Bauernidylle mit allen Mitteln erhalten will.
Ein gewiefter Taktiker ist Ritter alleweil. 2022 reüssierte er mit seiner «Geld- und Gülle-Allianz» (zusammen mit Economiesuisse, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband), um die grüne Agrarreform zu bodigen – der unschöne Kuhhandel trug als Gegenleistung dazu bei, die Nein-Parole bei der Konzernverantwortungsinitiative zu festigen. Allerdings geriet dieser Deal vielen Menschen in den falschen Hals.
Biodiversitätsinitiative wird bekämpft
Die Biodiversität ist in der Schweiz besonders stark gefährdet. Die roten Listen der aussterbenden oder bedrohten Arten sind länger als in allen unseren Nachbarländern. Diesen Verlust will die Biodiversitätsinitiative bekämpfen. Doch der Ständerat hat sich im Dezember 2023 zum zweiten Mal geweigert, überhaupt über rasche Massnahmen zu diskutieren. Dies sei unverständlich und verantwortungslos, meinen die Initianten. Sie setzen sich dafür ein, dass «unsere identitätsstiftende Heimat auch für zukünftige Generationen lebenswert bleibt».
Auch bei der Biodiversitätsinitiative schlägt der selbstbewusste SBV jeden Kompromiss aus. Dies könnte sich dereinst als grosser Fehler erweisen. Laut Tages-Anzeiger lenkt Markus Ritter seinen persönlichen Rachefeldzug gegen die Umweltverbände in eine Sackgasse. «Er setzt auf Totalopposition und verteidigt überkommene Partikularinteressen.» Tatsächlich scheint im Parlament im dereinstigen Abstimmungskampf ein Kompromiss in Sicht. Doch die Landwirte wollen dazu keine Hand bieten.
Falsche landwirtschaftliche Anbauprioritäten
Das Bild einer falsch beratenen schweizerischen Landwirtschaft widerspiegelt sich in verschiedenen skurrilen Fakten. Für den Anbau von Zucker – ein Produkt, das zu einem Bruchteil des Preises vom Ausland importiert werden könnte – gibt der Bund 35 Millionen für Subventionen aus, neben diversen weiteren Direktzahlungen. Rund 220'000 Tonnen Zucker werden jährlich produziert. Die Folgen des übermässigen Zuckerkonsums kosten den Staat weitere Millionen. «Es ist schizophren, die Zuckerproduktion zu subventionieren, während rund jedes sechste Kind in der Schweiz übergewichtig ist», sagt Manuela Weichelt, Präsidentin der Allianz Ernährung und Gesundheit (Blick).
Der Klimawandel wird künftig den Ackerbau verändern. Mit beträchtlichem Erfolg wird in der Deutschschweiz bereits Reis angebaut. «Eine einzigartige Möglichkeit, Produktion und Biodiversitätsförderung auf einer Fläche zu vereinen» (NZZ am Sonntag).
Christoph Carlen vom Forschungsinstitut Agroscope sagt: «Kulturen wie Kartoffeln können künftig kaum mehr angebaut werden, wenn sie nicht bewässert werden» (NZZ). Könnten in der Schweizer Landwirtschaft bald neue Kulturen Einzug halten? Quinoa statt Weizen, Hirse statt Mais, Kichererbsen statt Kartoffeln? Agroscope hat eine interessante Studie vorgelegt: «Wie eine stabile und robuste Landwirtschaft im Jahr 2035 aussehen könnte» (NZZ). Die Studie geht davon aus, dass dannzumal rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Bewässerung angewiesen sein wird.
Zusammenfassend: Die Schweizer Landwirtschaft ist von der Klimaerwärmung unmittelbar betroffen. Sie täte gut daran, sich an solchen Studien zu orientieren und sich rechtzeitig neu auszurichten. Alles beim Alten zu lassen und dafür immer mehr Subventionen zu erstreiten, hat keine Zukunft. Ein Verband und dessen Präsident, die sich in der Zelebrierung einer nostalgischen Vergangenheit gefallen, tragen wenig zu einer nachhaltigen, erfolgreichen bäuerlichen Zukunft bei.