Im durchschaut! Nr. 9 vom 5. Juli 2009 war vom Einfluss der Lobbyisten im Bundeshaus die Rede. Hier folgt als Fortsetzung die erstaunliche Geschichte der schweizerischen Landwirtschafts-Lobby. Diese ist dafür verantwortlich, dass wir alle in unserem Land jährlich rund 7,5 Milliarden Franken für den helvetischen Agrarschutz hinblättern. Rund 3,5 Milliarden für Subventionen (wie Direktzahlungen), den Rest u.a. beim täglichen Einkauf im Supermarkt für künstlich überhöhte Verkaufspreise zum "Schutz" der Landwirtschaft. Diese Groteske ist so absurd (oder spannend), dass ich immer wieder ungläubig gefragt werde: Warum wissen wir das nicht? Ja, warum?
Vorab eine Klarstellung. Ich habe nichts gegen die Bauern. Aber ich bin ein dezidierter Gegner der emsigen Agrar-Lobby, die den Konsumenten tendenziös informiert, widerlegte Mythen zelebriert und dem Volk Sand in die Augen streut mit nebulösen Worthülsen (wie Selbstversorgung und Multifunktionalität). Einige einleitende Fakten: Weniger als 2% unserer Bevölkerung sind noch Bauern, sie tragen zur Bruttowertschöpfung der Schweiz gerade mal ein Prozent bei. Trotzdem gelingt es diesem Berufsstand, nicht nur alte, überholte Privilegien endlos zu verlängern, tatsächlich schaffen es die rührigen Lobbyisten in Bern Jahr für Jahr sogar "antizipierend" neue Geldströme auf die überdüngten Wiesen zu leiten. Hut ab vor dieser Leistung! Wenn sie nicht jede Person im Land (inkl. Baby und Greis) mittlerweile jährlich tausend Franken kosten würde.
Mythos Nr. 1: "Der Agrarfreihandel würde unsere Selbstversorgung gefährden." Tatsache ist, dass die agrarwirtschaftliche Unabhängigkeit aufgrund der möglichst hohen Selbstversorgung eine Illusion ist. Stellen wir nüchtern fest: Ohne importierte Fahrzeuge, Maschinen, Pflanzenschutzmittel (Gift), Energie (Treibstoff) und vor allem, ohne importierte Futtermittel, Saatgut und Düngemittel liefe bei unseren Bauern fast gar nichts. Wer also heute unermüdlich von einem Selbstversorgungsgrad von 50-60% spricht, weiss wohl selbst sehr genau, dass dieses Märchen in Krisenzeiten (Grenzschliessung) von heute auf morgen in sich zusammen fallen würde wie ein Kinderballon, dem die Luft ausgegangen ist.
Mythos Nr. 2: "Die Schweizer Bauern schonen die Umwelt und produzieren tierfreundlich – das hat seinen Preis." Tatsache ist, dass die Integrierte Produktion (IP), nach deren Richtlinien die grosse Mehrheit der Schweizer Bauern produziert, überhaupt nicht als umweltschonend bezeichnet werden kann. Nitrat (aus Ackerflächen) belastet das Grundwasser, erhöhte Phosphorgehalte in Oberflächengewässern schmälern die Wasserqualität, die Anreicherung der Böden mit Schwermetallen (Hof- und Mineraldünger, sowie Pflanzenschutzmittel) ist hoch problematisch. Ammoniakemissionen stammen zu über 90%, Treibhausgase (Methan und Lachgas) zu über 10% aus der Landwirtschaft. Zudem ist die Biodiversität gerade in der Agrarlandschaft gefährdet. Und sogar beim Umweltschutz hapert es: Gemäss dem international akzeptierten Environmental Performance Index (EPI) ist die Schweiz Spitze, bei der Bewertung deren Landwirtschaft bewegt sie sich allerdings im Mittelfeld.
Mythos Nr. 3: "Wer die Direktzahlungen in Frage stellt, gefährdet die Multifunktionalität der Landwirtschaft." Tatsächlich sind Direktzahlungen wenig geeignet, die multifunktionalen Ziele zu erreichen. Was versteckt sich überhaupt hinter dem Zauberwort Multifunktionalität? Eine auf den Markt ausgerichtete Produktion? Wir alle kennen unsere Milchseen und Butterberge. Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen? Die negativen Veränderungen wie Bodenerosion (ausgeräumte Landschaft), Bodenverdichtung (zu schwere Traktoren) und Schadstoffbelastung (Dünger, Pflanzenschutz) weisen eher in die andere Richtung. Pflege der Kulturlandschaft? Wer oft in unserer Landschaft wandert, stellt mit Erstaunen fest, dass im Lauf der letzten 20 Jahre viele "Wanderwege" asphaltiert wurden, der Bauern wegen. Der klassische Zielkonflikt Landwirtschaft/Tourismus wird evident. Dezentrale Besiedlung des Landes? Hier leistet die Landwirtschaft keinen Beitrag, es ist eher umgekehrt. Gibt es ausreichend andere Beschäftigungsmöglichkeiten, kann die Landwirtschaft überleben.
Es gibt noch viele Bauern-Märchen, die wohl auch darum überlebt haben, weil unsere Vorfahren früher einmal alle Bauern waren und wir diesem Berufsstand wohlwollend gegenüber stehen. Wir sollten aufwachen. Die Landwirtschaft braucht die Landschaft, nicht umgekehrt. Der Subventionsregen, der täglich über Äcker und Wiesen niederprasselt verhindert die längst überfällige Strukturbereinigung. Er dient vielmehr der vergangenheitsverklärten Besitzstandwahrung einer kleinen Minderheit. Als Investitionen in die Zukunft (z.B. Bildung, erneuerbare Energien) wären ein Teil dieser Mittel sinnvoller eingesetzt.