Das sollten Sie wissen
Fünf eidgenössische Vorlagen stehen am 13. Juni 2021 zur Abstimmung. Neben dem Covid-19-Gesetz und dem Bundesgesetz zur Bekämpfung des Terrorismus befassen sich zwei mit den Volksinitiativen «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» und «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Bei der dritten Vorlage, dem «Bundesgesetz über die Verminderung von Treibhausgasemissionen (CO2-Gesetz)», geht es um Massnahmen gegen die Klimaerwärmung. Von diesen letzteren drei Vorlagen handelt dieser Beitrag. In aller Kürze.
Anfang April 2021 beleuchtete ich den «Kuhhandel», den uns die vereinigte Agrarlobby am 16. März 2021 im Bundeshaus eingebrockt hatte. Damals versenkte sie den austarierten Reformvorschlag zur Agrarreform «AP22», einer längst überfälligen Reform, die zum Ziel hatte, unsere Landwirtschaft ökologisch verträglicher zu gestalten. Am 13. Juni 2021 erhalten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nun die Chancen, diesen Fehlentscheid wenigstens teilweise zu korrigieren. Denn die drei oben erwähnten Vorlagen befassen sich direkt oder indirekt mit unserer Landwirtschaft.
Weltweites – auch für unser Land zunehmendes – Problem
«Das Zeitalter von Erdöl, Kohle und Gas neigt sich dem Ende zu», mit diesen klaren Worten eröffnete Bundesrätin Simonetta Sommaruga im März 2021 die Pressekonferenz, in der es um die Information zum revidierten CO2-Gesetz ging, über das wir am 13. Juni abstimmen sollen. Die Klimaerwärmung ist überall spürbar, die Regierungen dieser Welt verkünden seit Jahren ihre nationalen «Programme», um dagegenzuhalten. So auch die Schweiz.
Weltweit herrscht auch Klarheit darüber, dass die ambitiösen Klimaziele, die jeweils an internationalen Klimakonferenzen beschworen werden, nicht ohne behördliche Steuerungsmassnahmen realisiert werden können. Nach der Devise «Wo etwas mehr kostet, wird gespart» sind im neuen Gesetz Vielfliegerei, Autofahren und Gebäudeheizungen im Fokus. Um 30 bis 120 Franken sollen Flugreisende für ihr Ticket zukünftig mehr hinblättern. Autofahrende werden rund 12 Rappen pro Liter zusätzlich für ihren Treibstoff rechnen müssen. Die neue CO2-Abgabe für fossile Brennstoffe dürfte 210 Franken pro Tonne (gegenüber bisher 120 Franken) betragen, was sich in den Nebenkosten für Heizungen bemerkbar machen wird. Zudem sollen bei Neubauten oder Heizungssanierungen Systeme, die auf Heizöl basieren, verboten werden.
Zu kurzfristig gedacht ist die Stellungnahme des Hauseigentümer-Verbands, dieser wendet sich – wegen der steigenden Investitionskosten für Hauseigentümer – gegen das neue CO2-Gesetz. Wer langfristig denkt und plant wird die Nachteile der fossilen Heizsysteme bei steigenden CO2-Abgaben erkennen.
«Vernünftig bleiben»
Mit Vernunft hat diese Abstimmung tatsächlich viel zu tun. Wenn also eine starke Lobby aus Auto-, Bauern-, Kaminfeger-, Erdölimporteurkreisen (Verband Avenergy Sisse) und der SVP unzimperlich gegen das Ziel des neuen Gesetzes – dem das Parlament längst zugestimmt hat – antritt, so ist das natürlich ihr Recht. «Vernünftig bleiben» und «Nachhaltig statt planlos» – wie diese Kreise schreiben: Da stellt sich die Frage, ob sie Wörter wie «vernünftig» und «nachhaltig» etwa falsch verstanden haben. Und bei ihrem Urteil «teuer, nutzlos, ungerecht» – wenn sie das Gesetz abqualifizieren – fragt sich, auf welcher Welt dieses Wirtschaftskomitee lebt.
Dass sich Exponenten der Landwirtschaft gegen das neue Gesetz wehren, überrascht Szenenkenner wenig. Der Branche geht es um eine Verlängerung des Status quo: diesmal etwa darum, dass wir in unserem Land «etwa doppelt so viele Nutztiere wie unsere Nachbarländer halten – die Folge sind unter anderem Ammoniaküberschüsse, die weit über der Tragfähigkeit der Ökosysteme liegen», stellt Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz, fest (NZZ).
Vorwärts statt rückwärts denken und handeln
Was die oben zitierten Lobbys und den Bauernverband wenig zu interessieren scheint, sind die beachtlichen wirtschaftlichen Vorteile, die eine ambitionierte Klimapolitik generiert. Zwei Beispiele:
Mit dem neuen Gesetz wird die Rechnung für den Import fossiler Brennstoffe in die Schweiz bis 2030 von acht auf rund fünf Milliarden Franken sinken.
Um vom Erdöl wegzukommen, braucht es beachtliche Innovationen und Investitionen in der Schweiz. Nur schon die Verbesserung der Energieeffizienz der Geräte, Gebäude und Infrastrukturen und die Mehrproduktion erneuerbarer Energien im Land bewirken, dass Milliarden von Franken nicht mehr in die erdölexportierenden Länder fliessen, sondern sich hier positiv auswirken.
Reto Knutti, weltweit geachteter Klimaphysiker der ETH Zürich, unterstützt – zusammen mit über hundert Wissenschaftler*innen – das neue Gesetz vorbehaltlos: «Jetzt muss die Politik handeln» (NZZ).
Sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung
Das Initiativkomitee um die Berner Fitnesstrainerin Franziska Herren («politische Aussenseiterin», höhnen ihre Gegner), schreibt auf ihrer Homepage www.initiative-sauberes-trinkwasser.ch: «Unser wichtigstes Lebensmittel ist das Trinkwasser. Es entsteht zum grossen Teil durch die Versickerung des Regens dort, wo auch unsere Nahrung wächst, auf landwirtschaftlich genutzten Böden. Diese Böden sind der beste Trinkwasserfilter und ein grosser Wasserspeicher. Unsere heutige intensive Landwirtschaft setzt riesige Mengen an Pestiziden, Antibiotika, Importfutter und Düngemittel ein. Das bedroht die Qualität unseres Trinkwassers und unserer Nahrung sowie die Biodiversität, das Klima und die Luft und gefährdet die Gesundheit […] von uns. Die Initiative fordert, dass die Subventionen an die Landwirtschaft nur für Bewirtschaftungsweisen ausgerichtet werden, welche die Gesundheit und die Umwelt nicht gefährden und das Trinkwasser nicht verschmutzen.»
Seit vier Jahren wissen wir es: Unser Grundwasser ist oft verschmutzt, es weist zu viel Dünger und Pestizide auf. In diesem Zeitraum haben wir Dutzende von Zeitungsartikeln gelesen; sie alle bestätigen, dass unsere Landwirtschaft das Schweizer Grundwasser verbreitet beeinträchtigt. «Eine Million Schweizer erhalten derzeit Wasser, das dem Lebensmittelgesetz nicht mehr entspricht», meinte im November 2020 der Chef des Amts für Umwelt im Kanton Solothurn Martin Würsten («NZZ am Sonntag»).
Gegen solche Feststellungen, von vielen amtlichen Messstationen längst bestätigt, wehrt sich der Bauernverbandspräsident Markus Ritter seit jeher. Für ihn ist das politisch gefärbter Alarmismus.
Bio Suisse verärgert und verunsichert
Als wollten sie die Meinungsbildung der Stimmberechtigten zusätzlich erschweren, melden sich seit einigen Monaten die Bauern von Bio Suisse zu Wort: Sie sind erstaunlicherweise gegen diese Initiative. Allerdings sind deren Argumente gelinde gesagt abenteuerlich. So befürchten sie, dass die Einschränkung von Pestiziden und Nährstoffüberschüssen auch Biobauern direkt treffen könnte (hier geht es darum, dass jeder Betrieb künftig nur noch so viele Tiere halten dürfte, als er mit selbst produziertem Futter versorgen kann).
Die etwas an den Haaren herbeigezogenen Befürchtungen von Bio Suisse: Wenn nur noch jene Betriebe Subventionen erhielten, die keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel verwendeten, würden die herkömmlichen zu «Bio» gezwungen, was in diesem Sektor zu einer Überproduktion und tieferen Preisen führen würde. Etwas weltfremd und keineswegs konsumentenfreundlich, diese Gedankengänge. Franziska Herrens Kommentar: «Der Vorstand [von Bio Suisse] nimmt in Kauf, dass weiterhin Milliarden von Franken in eine Lebensmittelproduktion fliessen, die unsere Lebensgrundlagen zerstört und unser Trinkwasser verschmutzt.» Auf den Schweizer Seiten der «Zeit» lesen wir: «Die Schweizer Bio-Bauern wehren sich gegen eine umweltfreundliche Landwirtschaft. Sie fürchten um ihr boomendes Geschäft.»
Auch Urs Niggli, während 30 Jahren Chef des FiBL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau), tut sich schwer mit der Strategie von Bio Suisse. «Ich verstehe die Logik hinter den Parolen nicht», meinte er kürzlich im «Tages-Anzeiger». Die Ziele seien richtig, aber nicht umsetzbar. Da wird die Detailarbeit bei der endgültigen Ausformulierung des Gesetzestextes also noch Arbeit zu bewältigen haben.
Bundesrat und Parlament lehnen diese Initiative ab. Der Klimaforscher Thomas Stocker dagegen meint: «Die Trinkwasserinitiative ist nicht nur klimatauglich, sie spielt auch eine wichtige Rolle im Klimaschutz» (Inserat: www.initiative-sauberes-trinkwasser.ch).
Pestizid-Ausstieg jetzt!
«Die Initiative ‹Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide› wurde von einer Gruppe engagierter Bürger*innen, darunter Winzer*innen, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, ins Leben gerufen. Sie fordert den Verzicht auf synthetische Pestizide in der Nahrungsmittelproduktion, bei öffentlichen Plätzen und Privatpersonen mit einer Übergangsfrist von 10 Jahren und schützt die inländische Landwirtschaft durch gleiche Regeln für Importe (www.lebenstattgift.ch)», lesen wir auf der Homepage der Initianten. Doch Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab.
Tina Moser, Nationalrätin der Grünliberalen Partei (ZH), äussert sich im Liberalen Komitee für die Trinkwasserinitiative: «Pestizide verschmutzen unser Trinkwasser und führen zu einem Insekten- und Vogelsterben. Das darf nicht weiter subventioniert werden. Darum Ja zur Trinkwasser-Initiative.»
Eigentlich klare Botschaften, dennoch erwächst der Initiative Gegnerschaft. So lesen wir z.B.: «Nachhaltige Landwirtschaft geht auch mit Pestiziden.» Wie das? Im Gastbeitrag des «Tages-Anzeigers» wird u.a. darauf hingewiesen, dass bei Annahme der Initiative deren preistreibende Effekte zu wenig beachtet würden. Das mag ja vielleicht stimmen, doch zu erwähnen ist, dass dieser Kommentar vom Länderchef Schweiz des Agrochemiekonzerns Syngenta geschrieben wurde …
Neuerdings machen auch Grossverteiler (Migros, Coop, etc.) Stimmung gegen die Pestizid-Initiative. Diese würde Lebensmittel stark verteuern und den Selbstversorgungsgrad deutlich senken. Letzteres wäre kein Unglück und würde tendenziell sogar preissenkend wirken; die prognostizierte Verteuerung von Lebensmitteln dagegen dürfte mithelfen, den Anteil der verschwendeten Lebensmittel zu senken und damit einen wünschbaren Trend zu stärken.
Wir möchten unsere Landwirtschaft nicht mit Millionen Franken subventionieren, wenn sie unsere Gewässer verschmutzt. Dieses Anliegen scheint vernünftig. Interessant ist das Ziel des ETH-Spin-offs Yasai. Hier wird an einer Landwirtschaf ohne Pestizide getüftelt. «Urban Agriculture» ist der Überbegriff eines Trends, der die Nahrungsmittelproduktion vom Acker auf Regallager in Industriebrachen übersiedelt, völlig pestizidfrei.
Nochmals möchte ich betonen, dass ich unseren Bauern keine Vorwürfe mache, wenn sie unser Grundwasser verschmutzen. Denn so lange, wie sie Pestizide verwenden, die bundesbehördlich zulässig sind, liegt der Ball nicht im Bauernstall, sondern in Bern.
Bauern, aufgepasst!
In diesem Beitrag ging es auch um unsere Landwirtschaft, die nicht nachhaltig wirtschaftet. Man kann sich jetzt darüber streiten, wie weit Klima gefährdend oder Wasser vergiftend da produziert wird und ob die Ernährungsversorgung der Bevölkerung und Preisstabilität gefährdet sind.
Was zu wenig beachtet wird bei diesen Diskussionen, bei denen es auch um die Zukunft des Bauernstandes geht, sind weltweite Ernährungstrends, welche die Fleisch-, Eier- und Milchproduktion in weit stärkerem Masse beeinflussen werden als endlose Diskussionen darum, wie viel Gift im Dorfbach ist. Es geht hier auch nicht nur um vegetarisch oder vegan als Ernährungsprinzipien, da angesagte Ess-(Mode?)-Trends viel umfassender sind.
Beispiele sind: Käseproduktion ohne Milch, auf pflanzlicher Basis; Statt Fleisch lassen sich Sojaprodukte verwenden (aus der Migros-Werbung); Auch Seitan, ein Produkt aus Weizeneiweiss mit fleischähnlicher Konsistenz, empfiehlt sich als Fleischersatz; Statt Milch stehen Soja-, Reis- und Mandeldrinks zur Verfügung; Rahm wird durch Soja-, Reis- oder Haferschlagcreme ersetzt; Statt Rührei kann Seidentofu verwendet werden.
Weltweit wird in Richtung moderner Ernährung geforscht. Sind solche Ersatzprodukte erst einmal günstiger zu kaufen als Fleisch, Milch, Eier etc., wird die Nachfrage nach Letzteren rapide zurückgehen. Deshalb sollten unsere Bauern von ihrem Verband rechtzeitig auf solche Megatrends aufmerksam gemacht werden. Zukunftsdenken anstelle von Vergangenheitsorientierung würde dieser Branche guttun.
Entscheiden Sie!
Dieser kurze Blick hinter die Kulissen wird Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, vielleicht die Entscheidungen am Urnengang vom 13. Juni 2021 erleichtern. Ob Sie beim CO2-Gesetz mit einem Ja dem Bundesrat und Parlament beipflichten oder ob Sie sich bei den beiden Volksinitiativen mit einem Ja gegen «Bern» entscheiden – Ihre Meinung ist wichtig und gefragt.