Die Volksinitiative „Für Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle“ ist eine Mogelpackung. Eine vergiftete, wie Bundesrat Johann Schneider-Ammann meint. Denn erstens ist in der Schweiz Ernährungssouveränität gar nicht realisierbar und zweitens betrifft uns tatsächlich die Landwirtschaft zwar alle, jedoch nicht im Sinne des Initiativkomitees. Dieses, die Bauerngewerkschaft Uniterre – eine kleine Splittergruppe aus westschweizer Landwirtschaftskreisen – fordert abenteuerliche staatliche Lenkungsabgaben, die in ihrer Gesamtheit so weltfremd sind, dass sogar ein Bauernkomitee zum NEIN aufruft. Der Schwyzer SVP-Nationalrat Marcel Dettling meint, dass die Forderungen schlicht zu weit gehen.
Die Illusion einer Ernährungssouveränität
Mal abgesehen von der Tatsache, dass unsere Landwirtschaft nur existieren kann dank massiven Futtermittelimporten aus dem Ausland und entsprechender Abhängigkeit, ist die Idee der Initianten, zusätzlich in Märkte und Strukturen einzugreifen auf einem Sektor, der heute schon nur überlebt dank enormer finanzieller, staatlicher Unterstützung, egoistisch und unrealistisch. Tatsächlich kämen die geforderten Massnahmen einem Rückschritt um 30 Jahre gleich, als ansatzweise eine gewisse Fokussierung der landwirtschaftlichen Produktion auf die Bedürfnisse des Marktes eingeleitet wurde. Dass die erzwungene Erhöhung der Landwirtschaftsproduktion auch eine Erhöhung der Anzahl der in der Schweizer Landwirtschaft tätigen Personen explizit erfordern und deshalb Zusatzkosten nach sich ziehen würde, wird nicht bestritten. Für eine geschützte Branche, die Steuerzahlen und Konsumenten jährlich mit mehr als 7 Milliarden Franken belastet, ist dieses ideologische Szenario geradezu weltfremd und anmassend. Denn es ist klar, dass es diametral gegen eine zeitgemässe Förderung unserer internationalen Handelsbeziehungen zielt. Schliesslich ist gerade die Landwirtschaft davon abhängig und sollte realisieren, dass die ihr zufliessenden Subventionen auch von unserer Exportwirtschaft massiv mitgetragen werden.
Illusorische Forderungen an den Bund
Sozusagen als Zugabe fordern die Initianten vom Bund, dieser hätte dafür zu sorgen, dass die in der Schweiz geltenden sozialen und ökologischen Normen auch für die importierten Produkte gelten. Wie das? Mit Zöllen oder zusätzlichen Einfuhrverboten? Und der Forderungen nicht genug: Der Bund soll auch noch dafür sorgen, dass die Markttransparenz gewährleitet und gerechte Preise festgelegt werden. Dieses Vokabular erinnert stark an jene Staaten in Europa, die im letzten Jahrhundert nach der Devise „alle Macht dem Staat“ wirtschafteten und allesamt kläglich scheiterten.
Doch damit nicht genug: Der Initiatve-Forderungskorb enthält noch weitere „Kleinigkeiten“. Man will den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) generell verbieten. Heute ist der Anbau von GVO für Forschungszwecke erlaubt. Auch hier gilt es für die Stimmberechtigen im Land im Kopf zu behalten, dass das Gentech-Moratorium seit Jahren und noch bis 2021 besteht und es den Schweizer Bauern erlaubt, „exklusv“ anzubauen. Importe aus dem Ausland, das längst eine zeitgemässere Lösung dieses Problems anwendet, werden so elegant verunmöglicht. Die Hochpreisinsel Schweiz wird zwar lautstark beklagt, einzelne der Hintergründe jedoch tunlichst vermieden zu erwähnen.
Warum überhaupt diese Initiative?
Wer sich überhaupt für die Hintergründe dieses Initiativ-Manövers interessiert hat längst realisiert, dass es einmal mehr um den Ausbau des staatlichen Schutzes für den Berufsstand der Bauern geht. Noch nicht vergessen ist die Agrarvorlage vom September 2017 als es um die „Ernährungssicherheit“ ging. Beide Anliegen bäumen sich auf gegen den natürlichen Strukturwandel in der Landwirtschaft. Dieser beinhaltet nun mal den Trend zu grösseren Höfen, wer das mit Importverboten verhindern will und gleichzeitig noch mehr Subventionen für Kleinbetriebe fordert, hat das Augenmass verloren und mutet der übrigen Schweizer Bevölkerung (nur noch gut ein Prozent arbeitet in der Landwirtschaft) schlicht zu viel zu. Deren Solidarität „geht zum Brunnen, bis sie bricht“.
Exportnation Schweiz
Wir sind zu Recht stolz auf die beachtenswerten Exportleistungen der Schweizer Industrie, KMU und Grossunternehmen. Diese sind davon abhängig, dass unsere internationalen Verträge Rechtssicherheit und Langfristplanung gewähren. Vor allem das WTO-Recht mit seinen Agrarabkommen muss zwingend von allen WTO-Mitgliedern eingehalten werden. Importrestriktionen der Schweiz sind deshalb ein „No-go“, Importverbote ausdrücklich unzulässig. Auch das Freihandelsabkommen sowie das Agrarabkommen mit der EU wären betroffen. Abweichende einseitige Massnahmen der Schweiz würden die gemeinsam erlassenen Richtlinien verletzen. Zu guter Letzt wären auch die heute gültigen Efta-Freihandelsabkommen tangiert: Die vorgeschlagenen Massnahmen würden klar gegen das bestehende Vertragswerk verstossen.
Aufwachen, liebe Stimmberechtigte!
Eine erste Umfrage zum Abstimmungsverhalten hat anfangs August 2018 für Aufsehen gesorgt. Das prognostizierte, deutliche JA zur „Vorlage aus der protektionistischen Rumpelkammer“ (NZZ am Sonntag) weckte berechtige Besorgnis. Die zweite, Ende August 2018, zeigte dann allerdings bereits erhebliche Verschiebungen zugunsten eines NEINS. Zwar ist es verständlich, dass sich mehr und mehr Schweizerinnen und Schweizer sorgen um gesunde Lebensmittel. Doch wer meint, nur wer einheimische Produkte geniesse, esse gesund, der verkennt vielleicht die unsichtbaren Zusammenhänge hinter den medial verbreiteten, auf den ersten Blick einleuchtenden Argumenten der Initianten.
Die Vorstellung einer autarken Schweizer Landwirtschaft ist ein Wunschbild. Philipp Aerni, Direktor des Zentrums für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) an der Uni Zürich formuliert das so: „Ein hochvernetztes und innovatives Land wie die Schweiz lässt sich aber nicht einfach zurück ins Mittelalter katapultieren“ (NZZ am Sonntag).
Bundesrat und Parlament lehnen diese Volksinitiative ab. Ebenso die FDP, CVP, GLP, EVP, SVP, BDP.