Erfindungen stehen am Anfang des Wandels. Auch neue, bahnbrechende Erkenntnisse der Wissenschaft zählen dazu. Hinter diesen Erfindungen stehen Menschen, infiziert vom Virus „Neugier“. Albert Einstein, Bill Gates, Steve Jobs, Jeff Bezos – wir kennen sie alle, ohne sie gäbe es vielleicht weder eine spezielle, noch eine allgemeine Relativitätstheorie und schon gar keine Microsoft, Apple, Amazon.
Das tönt jetzt einigermassen banal. Doch lohnt es sich, in diesem Zusammenhang einem Phänomen etwas nachzugehen. Eine Kaskade von Vorbedingungen liegt hinter diesen Erfindungen im Verborgenen1. Doch auch wer noch nicht davon überzeugt ist, dass wir an der Schwelle zu epochalen Umwälzungen1 stehen, sollte sich klar sein darüber, welche (demokratischen) Werte unabdingbar sind, damit solche herausragende Menschen überhaupt zu ihren spektakulären Lösungen kommen können.
Alles beginnt mit Freiheit. Für uns in den westlichen Demokratien so selbstverständlich, dass es nicht schaden kann, wieder einmal die zwei wichtigsten Kriterien zu definieren, auf denen unsere Freiheit beruht: Die lapidare Möglichkeit, sich frei und ungehindert zu bewegen (und nicht als Dissidenter im Gefängnis zu sitzen) und das verlässliche Recht, etwas tun und lassen zu können innerhalb freiheitlicher und intakter Rechtsstrukturen. Der arabische Frühling, der kubanische Sommer, der chinesische Herbst oder der russische Winter – wir brauchen nicht weit zu suchen, um festzustellen: Wir sind ein privilegiertes Volk.
Die zweite Vorbedingung ist Bildung. Gerade in Zeiten, wo Regierungen den Sparstift dort ansetzen, wo der Widerstand klein ist aber die Auswirkungen verheerend sind, ist laut und deutlich zu sagen: Erstklassige Schulbildung, gezielte Weiterbildung, wissenschaftliche Lehre und Forschung sind der Humus, aus dem neues Wissen und später Wohlstand spriesst. Die Verbreitung und Festigung allen Wissens mittels Schrift – vor 2500 Jahren die griechische Buchstabenschrift, heute die Computerschrift im Internet – ist dann Schritt drei. Und der vierte, als Ergänzung, aber oft vergessen: Transparenz, der eigentliche Schlüssel zur Moderne. Geradezu epochal scheinen in diesem Zusammenhang die Auswirkungen des Cloud Computing und Croud Sourcing zu sein, wo Probleme auf dem Weg zu neuen Lösungen nicht mehr im geheimen, streng vertraulichen Labors gelöst werden, sondern als Fragestellung buchstäblich in den Weltraum geschickt werden, damit sich Tausende von Wissenschaftlern oder Interessierten damit auseinandersetzen können (siehe dazu auch durchschaut! Nr. 63).
Wir realisieren jetzt auch wieder einmal, warum sich der Westen (Europa, Nordamerika) seit der Renaissance vom Rest der Welt abgekoppelt hat. Freiheit, Bildung, Schrift, Transparenz führten zu einer eigentlichen Wissensexplosion, während überall auf der Welt, wo diese vier Kardinalstugenden gefährdet blieben, die Entwicklung vergleichsweise stagnierte.
Kehren wir zurück zu den Erfindungen. Zurzeit sind besonders fundamentale Entwicklungsschritte zu beobachten. Waren es früher Buchdruck und Enzyklopädien, die Bildung für breite Bevölkerungsschichten ermöglichten, ist mit Wikipedia ein zeitgemässes, neues, Transparenz förderndes Instrument im Vormarsch, das grenzüberschreitend Gratiswissen zugänglich macht.
Die Renaissance der Idee einer „kreativen Zerstörung“3 erhält wieder Auftrieb. So, wie neue Autobahnen alte Saumpfade verdrängt haben, neue Hochhäuser auch in Zürich (das doch einst gemäss Stadtrat „gebaut“ war) alte Siedlungen ersetzen und Tankstellenshops die „Tante-Emma-Läden“ abgelöst haben, so oder ähnlich führen neues Denken, neue Ideen, neue Politik dazu, dass alte Ansichten „zerstört“ werden müssen, um Neuem Platz zu machen.
Das Gebot langfristigen Denkens anstelle kurzfristiger Profitmaximierung wird ganz offensichtlich reichlich belohnt. Visionäre Erfinderpersönlichkeiten (nicht selten ursprünglich in jungen Jahren so genannte „Garageerfinder“) denken weit voraus in die Zukunft und sind bereit, grosse Risiken einzugehen. Sie verachten Politiker und Manager, die ihr Heil darin sehen, sich anzupassen und keine Risiken einzugehen.4
Weitgehend unbemerkt von Medien, deren Fokus weltweit auf Negativmeldungen gerichtet scheint, stehen wir vor einer Reihe von Erfindungen, die aufhorchen lassen. Es sind eigentliche „Wunder“, zumindest im weltlichen Sinn. Z.B. „The lab-on-a-chip (LOC)“5, ein kleines Gerät, das in wenigen Minuten in der Lage ist, mit einem Bluttropfen Dutzende von Labortests über die menschliche DNA durchzuführen. (Weitere Beispiele in durchschaut! Nr. 61).
Die Chancen für weitere fundamentale Entwicklungsschritte werden in den USA durch vier starke Kräfte angetrieben: 1. Eine neue Generation von Philanthropen investiert grosse Summen in sinnvolle Projekte. 2. Die Ansicht, dass arme Leute einen Riesenmarkt darstellen würden, vorausgesetzt, dass alltägliche Dinge viel billiger werden. 3. Das rasche Aufkommen von Do-it-yourself-Erfindern, z.B.: privater Drohnenbau zu einem Bruchteil der Kosten militärischer Exemplare. 4. Der Einsatz von Preisgeldern („Cash and Glory“) zur Förderung intelligenter Problemlösungen.
Offensichtlich stehen wir an der Schwelle einer eigentlichen Informations-Explosion. Big Data lässt grüssen. Die Effizienz bestehender Abläufe und Organisationen wird sich durch den Einsatz neuer, gewaltiger Datenkapazitäten revolutionieren. Nicht zu Unrecht hat das World Economic Forum Davos im Januar 2012 Data in den Rang einer neuen Währung erhoben, vergleichbar mit Münzen oder Gold.6
1 Deidre McCloskey, Professor of Economics, History, English and Communication at the University of Illinois, Chicago (Referat am Collegium Helveticum, Zürich im März 2012).
2 Christoph Zollinger: „EPOCHALER NEUBEGINN – Update nach 2500 Jahren“ (2011).
3 Makroökonomischer Begriff, dessen Kernaussage bedeutet, dass jede ökonomische Entwicklung auf dem Prozess der schöpferischen kreativen Zerstörung aufbaut und damit die alten Strukturen ablöst. Nach Joseph Schumpeter (1883-1950), österreichischer Ökonom und Politiker.
4 „Taking the long view“, The Economist Technology Quarterly, March 3rd 2012. Darin wörtlich: “…Risk-Taking. As Companies grow, there is a danger that novel ideas get snuffed out by managers’ desire to conform and play safe.”
5 „Now for some good news“, The Economist March 3rd 2012. „Mining an Information Explosion“, The New York Times, 20. February 2012.
6 „Mining an Information Explosion“, The New York Times, 20. February 2012.