Die „Aussprache zur Lage der Union“ ist natürlich exklusive Sache des Präsidenten der USA, einmal jährlich. Was nicht heisst, dass man sich anderswo Gedanken machen soll zum Klima in der grössten Demokratie der Welt. Während der polare Jetstream regelmässig umfangreiche Tiefdruckgebiete vom Nordpazifik in die USA bringt und damit das dortige Klima extrem beeinflussen kann, bläst aus dem White House in unregelmässigen Abständen ein ganz anderer Wind, dessen Auswirkungen landesweit spürbar sind - nicht vorhersehbar, hitzige Debatten oder frostiges Unverständnis kreierend. Vorzeitige Sturmwarnungen sind unmöglich, da sämtliche (Wetter-) Experten schlicht überfordert sind. Die Folgen dieses „Klimawandels“ sind noch unabsehbar. Hier einige willkürlich ausgewählte Beispiele zur Illustration.
Prinzip- und richtungslose Republikaner und Demokraten
Bei den Republikanern zählt neuerdings nicht mehr die Loyalität zum Land, sondern zu einem einzigen Mann, dem Präsidenten. „That is dangerous“, warnt der Economist. Das präsidiale Power-System basiert auf „Macht vor Wahrheit“. Nicht verwunderlich: der Präsident selber kann oder will nicht unterscheiden zwischen Fakten und Schwindel (Fakes).
Die Demokraten, noch immer geschockt nach der verlorenen Präsidentschaftswahl 2016, scheinen irgendwie desorientiert. Sie haben nicht realisiert, dass Amerikas politische System aus den Zeiten vor der Massenurbanisierung jene Partei belohnt, die bei den Wahlen am meisten Territorien (Boden) gewinnt und nicht jene mit den meisten Stimmen. Solang sie das nicht kapieren, werden sie weiterhin Abstimmungsmehrheiten erzielen, die sich nicht in politische Macht umsetzen lassen.
Unerschütterliches Gruppendenken
Stark verbreitetes Gruppendenken – unempfindlich gegen desaströse Kommentare über des Präsidenten neueste Twitter-News (und deren Annullierung am Tag darauf), prägt Trumps Bewunderer. Es hat nichts zu tun mit dem Einkommen oder Vermögen der Gruppenzugehörigen. Sie bewundern ihr Idol und sehen in ihm einen Businessman, der versucht, das Richtige zu tun. Sie verfolgen in ihrer Mehrheit die Politik in Washington überhaupt nicht, sind aber allesamt felsenfest davon überzeugt, dass diese während Obamas Amtszeit ein Desaster gewesen war. Alimentiert wird dieses Gruppendenken durch Fox-News und ähnliche Lokalsender, die überaus erfolgreich diese Kategorie Menschen fürsorglich an die Hand zu nehmen wissen.
Milliardäre ziehen die Fäden hinter den Kulissen
Es ist längst alter Kaffee, dass Milliardärs-Familien Trumps Wahl kauften. So gilt z.B. Robert Mercer, 71, als heimlicher Königsmacher, der Millionen in des Präsidenten Wahl gesteckt hatte und daneben jene Analysenfirma finanzierte, die ihm genehme Daten und jene aus Facebooks Auswertungen in „Modelle“ fütterte, die schliesslich zu Trumps Wahl geführt hatten. Übrigens: der populäre Fox-Moderator Sean Hannity soll praktisch täglich mit dem Präsidenten im Weissen Haus telefonieren, er steht grundsätzlich auf dessen Seite. Zudem ein weiterer kleiner Vorteil dieser Verbindung – die die Welt umkrempeln will – Hannity betreibt auch eine Radiostation, mit der er Millionen von Zuhörern erreicht. Hannity – wen erstaunt‘s – verfügt über einen direkten Draht zur ultrakonservativen Basis der Republikaner (Tages-Anzeiger).
Es passt auch in diese Landschaft, dass die Milliardärsfamilie Smith ankündigte, über ihr Medienkonglomerat Sinclair 42 lokale Fernsehsender übernehmen zu wollen um sie zu Trump-freundlichen Berichten zu zwingen (NZZ). (Damit ist nicht angetönt, dass Ähnliches in der Schweiz abläuft: auch hier eine Milliardärsfamilie, die alles daran setzt, das Land zu „erziehen“).
„Intellektuelle“ Trump-Berater
Wie die NZZ berichtete, drückt u.a. Michel Anton höchst professionell der Trump-Administration den ideologisch-intellektuellen Stempel auf. Anton ist auch strategischer Kommunikationsberater der Fondsgesellschaft BlackRock und der Citigroup, schreibt Rupert Murdochs Reden und war bereits unter George W. Bush von 2001 bis 2005 Teil des Kommunikationsteams im Weissen Haus. Dieser Anton verfolgt einen „genuin amerikanischen Föderalismus, wie er gemäss Trump-Philosophen den Gründern der USA vorschwebte. Beliebteste Prügelknaben der Claremonter sind die von Political Correctness und Gender-, Rassismus- und Kapitalismuskritik dominierten Hochschulen und Geisteswissenschaften.“ Die Claremonter – zum besseren Verständnis – sind die intellektuellen Wegbereiter und Gehirne der Trumpisten, sie nennen sich selbst Claremonsters.
In diesem Zusammenhang interessiert, welches Urteil Martin Richenhagen, Chef des US-Landmaschinenherstellers AGCO und ehemaliger Berater Trumps im Interview der ZEIT in seinen persönlichen Erfahrungen mit Trump betont: „Trump will als ein Präsident in die Geschichte eingehen, der sein Land wirtschaftlich vorangebracht hat. Aber weil er keine Ahnung hat, versteht er nicht, dass Strafzölle der falsche Weg sind. […] Es gab ja die Vorstellung, dass man Trump einhegen kann, wenn man ihn mit den richtigen Leuten zusammenbringt. Das funktioniert aber offenbar nicht. Er umgibt sich mehr und mehr mit Radikalen, Spinnern und Aussenseitern.“ Dieses Zitat führt direkt zu jenem Paukenschlag, von dem auch die Schweiz betroffen sein würde: Strafzölle, Handelskrieg, make America great again.
Trumps Welthandelskrieg
Ob der Präsident es überhaupt realisiert? Wenn es ihm ernst ist mit einem Handelskrieg, wäre das die grösste Bedrohung für das globale Wachstum. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass die Einführung von Strafzöllen eine Lawine auslösen kann, dann nämlich, wenn die betroffenen Staaten mit gleicher Waffe zurückschlagen und ihrerseits Zölle einführen. Ungeachtet dessen ist Trump davon überzeugt, dass er einen solchen Krieg gewinnen würde. Und wie immer bei Kriegsdrohungen: auch die andere Seite ist überzeugt davon, als Sieger aus dem Showdown hervorzugehen. China jedenfalls lässt das laut und deutlich vernehmen. Wie immer ist man bei Trumps Ankündigungen aber nie sicher, ob er das Angedrohte durchziehen oder, ohne weitere Hemmungen, am Tag X für Makulatur erklären wird. So jedenfalls scheint es im Fall USA : EU nach Junckers Besuch im Weissen Haus im Juli 2018 zu laufen. Doch warten wir‘s ab.
Der neue deal
Offensichtlich entspricht es einem Charakterzug des Präsidenten, dass er weniger politische Lösungen durch Verhandlungen, als einen cleveren deal anpeilt. Da viele Wirtschafts-Manager nach der gleichen Schablone ticken, geniesst Trump in Businesskreisen noch immer Unterstützung. Diese – im Allgemeinen protektionistisch eingestellte – Gruppe lässt sich zurzeit durch wirtschaftliche Erfolge blenden. Good for business: die Frage bleibt – auch langfristig?
Das System Trump. Es ist eben gar kein System, schon gar kein politisches. Täglich tippt er seine tweets in die Welt hinaus. Seine Mitarbeiter wechselt er aus wie Hemden. Heute mag er jemanden, morgen feuert er ihn. Dass ein Land wie die USA auf diese Weise regiert wird, lässt das Vertrauen in die Demokratie weiter erodieren. Diese Art „Klimawandel“ lässt nichts Gutes erwarten. Und auch hier, wie anderswo, sind es einzelne egoistische Machtmenschen, die dafür verantwortlich zeichnen.