100 Jahre Migros – dafür können wir dem Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler und seiner Gemahlin Adele dankbar sein. Symbolisch für die Grosszügigkeit und Weitsicht ihres Denkens und Handelns gibt es in Rüschlikon (ZH) den 45'000 Quadratmeter grossen «Dutti-Park», den die beiden vor 80 Jahren (1946) dem Schweizer Volk geschenkt hatten und der seither als «Park im Grüene» der Öffentlichkeit gratis zum entspannten «Sein» zur Verfügung steht. Der Mensch stand für die Duttweilers im Mittelpunkt.
Hundert Jahre später: «Merci, Adele und Dutti!»
Wenn die immer strahlende Migros-Präsidentin Ursula Nold in diesen Tagen vor der Presse verkündet: «Diese Haltung prägt die Migros bis heute», fragen sich viele Menschen im Land, was Nold unter dieser Formulierung wohl verstehen mag. Tatsächlich hat ja die Migros im Rahmen ihres Restrukturierungsprogramms (Schliessung von SportX, Micasa, Do it + Garden, Melectronics) inzwischen viele hundert Angestellte entlassen. Zum Teil waren diese schon eingeladen zum grossen Fest in Mollis – sie wurden inzwischen wieder ausgeladen …(INFOsperber).
Mario Irminger, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB), hat seit über einem Jahr die Hiobsbotschaften von Massenentlassungen, Firmenverkäufen und -schliessungen in den Medien zu vertreten. Wenn er sagt, «man werde sich zukünftig auf die Kernbereiche fokussieren müssen»*, wird er sich die Frage gefallen lassen müssen, welches denn bisher die Kernbereiche gewesen seien und worauf sich das Management fokussiert habe. Denn immerhin hat die Migros in den letzten Jahren rund fünf Prozent Marktanteil in der Schweiz verloren.und Hu
Ablenkungsmanöver des Top-Managements
Während die Spitze der Migros Rosen verteilt (mediale und echte, ca. 1,3 Millionen), stellen neutrale Marktbeobachter fest, dass im Detailhandel, dem Migros-Kerngeschäft, in letzter Zeit nicht alles rund läuft. Tatsächlich ist die Migros «in den vergangenen Jahren gegenüber der in- und ausländischen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten» («Echo der Zeit, Radio SRF1»).
Dies soll jetzt alles anders werden. Supermärkte sollen optimiert, kleinere Ladenformate neu eröffnet, mit tiefen Preisen Kunden angelockt, Marketing, Logistik und Einkauf zentralisiert werden. Besonders den Trend zu kleineren Ladenformaten (im Fachhandel Convenience-Stores genannt) hat die Migros während Jahren schlicht verschlafen. Schon 1985 entstanden diese in der Schweiz, nachdem alerte Food-Spezialisten diesen Trend aus den USA «importiert» hatten.
Millionen verlocht
Die Migros hat in den vergangenen Jahrzehnten viel, sehr viel Geld verdient. Anstatt diese Mittel in Preissenkungen umzusetzen (These 3 aus den 15 Thesen des Vermächtnisses Duttweilers aus dem Jahr 1950 lautet: «Der Bestand unserer Genossenschaft beruht auf ihrem organisatorischen Leistungsvorsprung»), investierten die Chefs der Genossenschaften auf Teufel komm raus im Ausland. Bezüglich des Migros-Engagements in Österreich schreibt Arthur Rutishauser im Tages-Anzeiger: «Hauptverantwortlich für das Debakel (300-Millionen-Verlust) waren damals Migros-Präsident Jules Kyburz, CEO Eugen Hunziker und Marketing-Chef Hermann Hasen.»
Der «orange Riese» investierte auch in Deutschland. 2022 belief sich der Jahresfehlbetrag der Galaxus GmbH, Hamburg auf 49 Millionen Euro, jener von 2023 auf über 61 Millionen (Inside Paradeplatz). Dazu kommt das «Investment» für den Kauf der deutschen Bio-Kette Tegut, deren kumulierter Abschreiber bis Ende 2025 wohl einiges mehr als eine halbe Milliarde betragen dürfte. «Die Bio-Kette Tegut drohte zum Fass ohne Boden zu werden», meinte im Juli 2025 Lukas Hässig (Inside Paradeplatz). «Das katastrophale Erbe des ‹roten Jörg›» titelte die Sonntagszeitung im April 2025, gemeint war Direktor Jörg Blunschi, langjähriger Geschäftsführer der Genossenschaft Migros Zürich, verantwortlich für den Kauf der hochdefizitären deutschen Tegut. (Blunschi war 2024 nach dem Abgang bei der Migros Zürich zum Präsidenten der Migros Aare befördert worden.)
«Nicht immer die richtigen Personen in der Geschäftsleitung»
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Gottlieb Duttweiler («GD») ein schlechter Menschenkenner war – so seine Frau Adele – und er deshalb ein «M-Markenzeichen» begründete, das sich über Jahrzehnte eher negativ auswirken sollte. Er bevorzugte – wenn immer möglich – ihm selbst persönlich bekannte Personen und begründete damit eine eigentliche Vetternwirtschaft in den Top-Etagen der Genossenschaften. Die Serie begann 1962, als GD seinen Nachfolger im höchsten Amt (Vorstandsvorsitzender des Migros-Genossenschafts-Bundes) bestimmte: Rudolf Suter, dessen Mutter eine Schwester von GD war.
Manche Beobachter der Branchenszene fragen sich heute, wieweit diese Tatsache auch Jahrzehnte später noch nachhallt, vielleicht sogar prägend ist. Christoph Lechner, Professor für strategisches Management an der Universität St. Gallen, meinte 2024 in Zusammenhang mit den damaligen Turbulenzen im Migros-Konzern, dass nicht immer die richtigen Personen in der Geschäftsleitung einer Firma, der es schlecht gehe, sässen, um diese aus dem Dreck zu ziehen …
Wie weiter mit der Migros?
Kundinnen und Kunden, auch marktbeobachtende Spezialisten, fragen sich im Jubeljahr, wie es mit dem orangen Riesen weitergehen würde. Viele von ihnen realisieren, dass sich zwischen den Eigenlobgesängen des Managements – in den Medien gehorsam weitergereicht – und der tatsächlichen Alltags-Umsatz-Performance eine unübersehbare Lücke öffnet. Ein Grund dafür ist die Organisationsstruktur der Migros: Absichtlich hatte Gottlieb Duttweiler damals angeordnet, dass sich die 10 Regionalgenossenschaften selbständig organisieren müssen (in den 15 Thesen des Vermächtnisses der Duttweilers ist im Artikel 14 zu lesen: «Keine Machtpolitik des Migros-Genossenschafts-Bundes. Er hat die Geschlossenheit der Mitgliedsgenossenschaften auf Leistung und auf seine moralische Autorität abzustellen.») Diese hundertjährige Devise ist offensichtlich inzwischen aus der Zeit gefallen. Ein Konzern mit 11 CEOs?
Ob es wohl an diesen 11 Managern und ihrer Präsidentin liegen würde, der Migros-Gemeinschaft («Besitzer der Migros») eine zeitgemässe Struktur und eine schlagkräftige Führung vorzuschlagen – wohl unter Verzicht auf einen Teil ihrer regionalen Selbständigkeit und ihres persönlichen Prestiges?
*Christoph Zollinger: «MIGROS am Scheideweg 1925–2025. Wie das Erbe von Gottlieb Duttweiler gefährdet wird», 2025, NZZ Libro.