Die "Wahl nach dem Drehbuch" Didier Burkhalters in den Bundesrat wird von den vier grossen politischen Parteien als Sieg der Vernunft und als Rückkehr zur Stabilität gefeiert. Die SVP sieht sich gar als Retterin der Konkordanz. Die Medien sind des Lobes voll. "Wenn Bundesratswahlen nach all den Aufregungen der letzten Jahre wieder etwas langweiliger werden, ist das für die Schweiz politisch gut" meint gar treuherzig der Berner Bund. Da kann man allerdings auch ganz anderer Meinung sein.
Eine Vorbemerkung: Während drei Monaten haben die Medien das Land berieselt mit "Insider-Stories" – einem Schattentheater über Kandidaten und deren Chancen. Die von Tag zu Tag wechselnden Prognosen hatten alle eines gemeinsam: Sie interessierten die grosse Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer überhaupt nicht. Die Seiten, die gefüllt und Stunden, die gesendet wurden hätten eigentlich in die Rubrik "Gut-Nacht-Geschichten" gehört. Ob da ein Zusammenhang mit dem Zeitungssterben oder dem Stimmenrückgang bei Wahlen bestünde? Vielleicht. Jedenfalls hat sich die Stimmbeteiligung bei den Nationalratswahlen innert 90 Jahren von 80% auf 48.9% entwickelt… Der mediatisierte Politikbetrieb stösst beim Publikum auf wenig Interesse, Inszenierungen gehören auf die Theaterbühnen.
Doch nun zum Thema: Einer der offensichtlichsten Aspekte unseres Konkordanzsystems ist die Aufteilung der sieben Bundesratssitze auf die wichtigsten Parteien. Vor dem Hintergrund einer stark geminderten Mobilisierungskraft der politischen Parteien (weniger als 6% der Wahlberechtigten sind noch Mitglied einer politischen Partei) bestimmt also ein kleines Grüppchen selbsternannter Strippenzieher als Repräsentanten eines erodierenden Parteien-Systems über die "Zauberformel." Zauberlehrlinge stellen die Weichen für die oberste Exekutive des Landes.
Die massgeblichen Parteistrategen der vier grossen Parteien (SVP, SPS, FDP/L, CVP) verweisen alle auf "legitime" Sitzansprüche. Damit wird die Konkordanz auf arithmetische Kleinkrämerei reduziert, wo sich doch ursprünglich hinter der bewährten Idee wohl auch programmatische und inhaltliche Werte versteckten. Bei dieser Rechnerei berufen sich die einen auf den Wähleranteil, die anderen auf die Fraktionsstärke. Was, wenn diese Rechnung ergäbe, dass eine weitere Partei in eben diese Konkordanz eingebunden werden müsste? Dann wechselt die Argumentation flugs: Jetzt heisst es, auch ein minimaler Konsens bei den wichtigsten Themen sei sicher zu stellen. Mit Verlaub: wo ist dieser Minimalkonsens heute zwischen der SVP und der SPS? Sehen wir uns trotzdem das Bild der "legitimen" Ansprüche etwas näher an:
Partei | Wählerstimmenanteil in % (2007) | Theoretischer Sitz-Anspruch | Effektiver Sitz-Anspruch |
SVP | 28,9 | 2,0 | 2,0 |
SPS | 19,5 | 1,4 | 2,0 |
FDP | 15,8 | 1,1 | 2,0 |
CVP | 14,5 | 1,0 | 1,0 |
übrige | 21,3 | 1,5 | 0,0 |
100,0 | 7,0 | 7,0 |
Nimmt man zur Kenntnis, dass die grossen FDP, SPS, CVP in den letzten 30 Jahren kontinuierlich Wähleranteile verloren haben, kann man getrost davon ausgehen, dass bis im Jahr 2011 deren Wähleranteil zusammen auf knapp 45% sinken wird, was dann drei Bundesratssitze (statt zur Zeit fünf) bedeuten würde. Jetzt versteht man auch, warum 2009 hinter den Kulissen die Weichen gestellt werden. Die plötzliche Ruhe und demonstrierte Eintracht bei der Bundesratswahl im September 2009 ist nicht anders zu interpretieren, als dass nach dem Prinzip "eine Hand wäscht die andere" schon heute die Päckli geschnürt werden, um für die kommenden Jahre Ansprüche zu festigen, die dem eigenen Machterhalt dienen. Damit verkommen die Bundesratswahlen zu einem unzeitgemässen Schulterklopfen unter Insidern und die Qualität der Kandidaten rückt noch einmal weiter in den Hintergrund.
Ob es unter diesen Vorzeichen zur Abwahl einer weiteren Bundesrätin – unabhängig von ihrem fachlichen Können, ihrer Dossiersicherheit und ihrer Popularität im Volk – kommen wird? Wir ahnen es. Ob dies der ursprünglichen Idee des politischen Konsenses unter Einbindung der Minderheiten dienlich ist, wir bezweifeln es. Ob die grossen Parteien realisieren, warum sie (Ausnahme SVP) seit Jahrzehnten Mitglieder verlieren? Kaum.