Politik, nein danke! Politisches Engagement, ich? Dafür habe ich keine Zeit! Politische Schwerpunkte – interessiert mich nicht! „Die da oben machen ja doch, was sie wollen!“ Warum sollte ich mich für Gemeindepolitik interessieren? Neben Job und Familie liegt das nicht drin! Wie beurteilen Sie den Gemeinderat der Stadt Zürich? Schwatzbude. Wodurch zeichnet sich der Kantonsrat des Kantons Zürich aus? Durch Parteiengezänk. Kennen Sie die Regierungsratsmitglieder Ihres Wohnkantons? Keine Ahnung. Wie setzt sich das Parlament der Schweiz zusammen? Worin unterscheiden sich National- und Ständerat? Wie heisst unser Bundespräsident? Wer ist Vorsitzender der Bundesversammlung? Fragen über Fragen, oft ist die Antwort ein Achselzucken. Eine letzte Frage: Geht es eigentlich um Politik- oder Politikerverdrossenheit?
Nicht nur in der Schweiz stösst „Politik“ auf immer weniger Resonanz. Statistisch gesehen sank die Stimmbeteiligung gemäss Bundesamt für Statistik 2012 auf magere 38,5% - der tiefste Wert seit vielen Jahren. In Deutschland spricht David Precht zum Thema Kernproblem der Politik, indem er die politischen Parteien als Selbsterhaltungssysteme bezeichnet. In Rom nahm Berlusconi 2013 die Politiker Italiens in Geiselhaft. Der Überdruss mit der österreichischen politischen Elite basiert auf endlosen Korruptionsaffären. Präsident Hollande deklamiert: „Frankreich ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“ Und in England verkündet der Premier David Cameron, angesichts von endlosen Krawallen, seinem Volk: „Ich bin in die Politik gegangen, um eine grössere, stärkere Gesellschaft zu schaffen.“ Im einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA, haben gerade noch 11% der Bevölkerung eine positive Meinung von der grossen Politik in Washington.
Und da fragen wir uns, warum das Desinteresse an politischen Sachfragen zunimmt? Wenn sich die westliche Gesellschaft immer mehr von der Politik entfernt, scheint das irgendwie beunruhigend. Gründe dafür zu suchen ist von Land zu Land ein beliebtes Medienthema. Schuldzuweisungen sind omnipräsente Tagesthemen.
„Die Qual der Wahl“ titelte DIE ZEIT (5.9.2013) ihre grosse Umfrage und fragte 48 Persönlichkeiten, welche Partei sie wählen würden – im Hinblick auf die Bundestagswahlen im Herbst 2013. Antworten wie: Es ist besorgniserregend, dass das Primat der Politik in einem Gemeinwesen seinen Platz räumen musste für das Primat der Ökonomie. […] Auf lange Sicht wird eine marktkonforme Politik ohnehin keine Demokratie sein. […] Die wirklichen Entscheidungen treffen aber nicht die Wähler, sondern die global spielenden Konzerne und die global spielenden Geheimdienste […] Weil ich bei allen etablierten Parteien eine ungute Tendenz zum Illusionismus feststelle – so, als würden die Antworten des 20. Jahrhunderts noch zu den Herausforderungen passen, vor denen demokratische Gesellschaften im 21. Jahrhundert stehen. […] Was vorrangig fehlt, ist eine Zukunftsvision.
Alle diese Antworten sprechen für sich selbst. Diese Statements stehen natürlich für ein willkürliches Spiegelbild der Gesellschaft. Doch es hapert ganz offensichtlich mit dem Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker. Wie aber kommt es, dass diese Meinung überhandnimmt?
Werfen wir einen Blick auf die USA. Der Thinktank Heritage Foundation und die Tea-Party-Bewegung hielten das Land 2013 während Wochen im Würgegriff. Demokratisch gefällt Entscheide wurden blockiert. Wie das möglich ist? Milliardäre im Hintergrund finanzieren die politischen Entscheidungsträger. Leute wie Charles und David Koch, die je ein Vermögen von 36 Milliarden Dollar ausweisen (gemäss Forbes). Das Kerngeschäft ihres Konzerns ist das Ölbusiness, Raffinerien und Pipelines. Auch Richard Stephenson („Freedom Works“) gehört zu den wichtigsten Sponsoren der republikanischen Hardliner. Dazu passt, dass der Oberste Gerichtshof Amerikas (dominiert von alten, konservativen Richtern) 2010 das Gesetz aufhob, das Unternehmen und Gewerkschaften direkte politische Spenden verboten hatte.
In Österreich strebt der Milliardär Frank Stronach an die Macht. Dazu gründete er im Herbst 2012 eine eigene Partei: „Team Stronach“. Bis zu 25 Millionen Euro will er investieren, „um seinem Land zu dienen und es vor dem Niedergang zu bewahren“ (NZZ am Sonntag, 8.9.2013). Was er laut sagt: Es liege ihm die Rolle des Desperados im Kampf gegen die Elite. Bei der Gründungsveranstaltung in der kaiserlichen Residenz Schönbrunn liess er verlauten, „dieser Tag werde nicht nur in die Geschichte Österreichs, sondern in die Weltgeschichte eingehen“.
Des Populisten Berlusconis rechtskonservative Personenkultpartei in Italien hat ihre Glanzzeiten längst vorbei. Seit der Medienmogul rechtskräftig der Korruption für schuldig befunden wurde, geht auch diese Tragikomödie zu Ende. Berlusconis Vermögen wird auf 7,8 Milliarden Dollar geschätzt. Seine „Investitionen“ in die Politszene in Rom sind legendär und skandalumwittert.
Der Tycoon Robert Murdoch, australischer Milliardär (geschätztes Vermögen 7,6 Milliarden Dollar, gemäss n-tv), kauft seit Jahren Medien in den USA, Grossbritannien, Asien und Australien zusammen. Er schafft sich damit eine exzellente Plattform, um sein erzkonservatives Weltbild der staunenden Bevölkerung (und deren Politikern) dieser Länder über den Kopf zu stülpen.
Finanzierung politischer Parteien in der Schweiz
Die Staatengruppe GRECO forderte 2013 die Schweiz in ihrem Länderbericht dazu auf, Regelungen zur Offenlegung von Spenden einzuführen und anonyme Parteispenden zu verbieten. Der Gesamtbundesrat sieht keinen Handlungsbedarf. In der föderalistischen Direktdemokratie Schweiz sollen Bürgerinnen und Bürger weiterhin nicht wissen dürfen, wer im Land mit welchen Beträgen wen finanziert. Da könnte man anderer Meinung sein. Doch was heisst diese Haltung im Klartext? Es darf nicht durchsickern, welche Personen oder welche Konzerne mit wie viel Millionen Franken welche Partei unterstützen. Warum eigentlich nicht?
Marina Caroni, Rechtsprofessorin an der Uni Luzern, meint dazu: „Eine weitere Herausforderung für die schweizerische Demokratie stellt die Finanzierung politischer Kampagnen dar. Das eigentliche Problem liegt darin, dass die intransparente Geldbeschaffung zum Verlust des Vertrauens in das Funktionieren des demokratischen Prozesses führt. Wo der Verdacht besteht, dass wir durch geschicktes Marketing manipuliert werden bzw. dass mit Geld der Zugang zur politischen Diskussion oder gar der Ausgang einer Wahl oder Abstimmung erkauft werden kann, bröckelt das Vertrauen in den politischen Prozess und führt letztlich zu demokratischer Apathie bzw. politischem Desinteresse. Für eine lebendige Demokratie ist dies fatal“ (NZZ 13.9.2013). Ausnahmsweise habe ich diese lange Aussage ungekürzt zitiert, sie ist in ihrer Klarheit nicht zu überbieten. Offensichtlich ist unser Land auf diesem Gebiet alles andere als eine Musterdemokratie.
Immer wieder wird statistisch erhoben, wo die Gründe liegen könnten für die steigende politische Abstinenz. Ganz oben finden sich Aussagen wie „Medienberichterstattung zu negativ“ und „moralisches Fehlverhalten oder Selbstdarstellung der Politiker“. Enttäuschung und Misstrauen als Folge fördern die Politikverdrossenheit. Gemäss VIMENTIS sind in der Schweiz 51% der Teilnehmer einer grossen Befragung unzufrieden (oder eher unzufrieden) mit der Schweizerischen Politik und beklagen sich ganz generell über zu viele und zu komplizierte Abstimmungen.
Das könnte damit zusammenhangen, dass der Missbrauch des Initiativ- und Referendumsrechts in unserer direkten Demokratie tatsächlich eine steigende Tendenz aufweist. Kann man dieses verbriefte Recht überhaupt missbrauchen? Diese Frage richtet sich in erster Linie an jene Kreise im Land, die nach jeder verlorenen Abstimmung sogleich mit dem Stimmensammeln für ein Referendum beginnen. Meistens verlieren sie anschliessend an der Urne, doch als Parteipropaganda hat sich der (durch den Staat, respektive die Steuerzahler berappte) Aufwand offensichtlich gelohnt.
Es gibt jedoch auch weitere Gründe für das Desinteresse an politischem Engagement in Parteien. Das Potenzial nicht institutioneller Beteiligungsmöglichkeiten via Social Media steigt. Die politische Diskussion verlagert sich deshalb weg von den traditionellen Plattformen. Parteilose und Bürgerforen sind in den Exekutiven auf kommunaler Ebene längst zur stärksten Kraft avanciert, etwas, das viele Politologen nicht sehen wollen. Und natürlich: In unserer schnelllebigen Zeit wird der Ruf nach Online-Abstimmungen und –wahlen immer lauter.
Diese kleine Analyse der Befindlichkeiten zum Thema Politikverdrossenheit schliesst mit dem persönlichen Eindruck, dass wohl viele dieser genannten Gründe und Ursachen willkommene Ausreden für das trendige Abseitsstehen überbeschäftigter Männer und Frauen darstellen, die „einfach keine Zeit haben“. Keine Zeit haben ist immer ein Entscheid des persönlichen Zeitmanagements. Es soll deshalb auch einmal ein grosses Kompliment an alle, „die Zeit haben“ für politisches Engagement in unserem Land ausgesprochen sein. Auch wenn wir ab und zu nicht mit ihnen einverstanden sind.