Wenn Natalie Rickli in der MEDIENWOCHE unter dem Titel „Innovationen statt Subventionen“ publiziert, denkt sie zwar an die geplante Mediensteuer. Da sich diese Überschrift jedoch – ganz im Sinne der SVP – auch vorzüglich auf andere Themen des Schweizerischen Alltags übertragen lässt, scheint es angezeigt, den Moloch Landwirtschaftssubventionen wieder einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein Fass ohne Boden.
Unverantwortlich
Die Bauernvertreter standen im November 2014 Schlange am Rednerpult im Nationalrat. Schliesslich beschloss der Rat im Rahmen der Budgetdebatte, den Budgetentwurf um 135 Millionen Franken aufzustocken. Davon kommen 115 Millionen zusätzlich der Landwirtschaft zugute. Die NZZ kommentierte damals trocken: „Bürgerliche auf Abwegen – Unverantwortliche Finanzpolitik.“
Rückblickend und in Kenntnis des inzwischen bekanntgewordenen Defizits der Bundesrechnung 2014 (statt der geplanten 121 Millionen Überschuss resultierten 141 Millionen Defizit) ist eines klar: SVP und FDP, die sich unisono für den Abbau von „unnötigen“ Subventionen und Staatsausgaben stark machen – wieder einmal handelten sie im Parlament diametral entgegengesetzt zur eigenen, offiziellen Propaganda. Seit Jahren ist dieses unehrliche Spiel der Parteien (zusammen mit der CVP) in den Räten zu verfolgen. Überall soll gespart werden, derweil der Subventionskatalog für Bauern immer üppiger aufgestockt wird. Tatsächlich ein Trauerspiel.
Bauernschlaue Lobby
Keine andere Berufsgruppe ist im Parlament auch nur ähnlich stark vertreten wie die Bauern-Lobby. 13% der Nationalräte haben einen bäuerlichen Hintergrund. Damit ist diese Berufsgruppe extrem übervertreten. Der Beitrag der Landwirtschaft am BIP Schweiz beträgt weniger als 1%. Die Macht der Bauern ist grotesk überproportional – sie sind die einzige stabile Mehrheit im Parlament.
Da stellt sich die Frage: Führen unsere rührigen Bauernvertreter das Land in die optimale Zukunftsrichtung?
Agrarpolitik 2014 – 2017
Auch unter der Agrarpolitik 2014 – 2017 erhalten die Bauern über 3,4 Milliarden Franken an jährlichen Subventionen. Das sind rund 10 Millionen Franken täglich. Nicht in diesen Beträgen eingerechnet sind die indirekten Stützungsbeiträge, die Sie und ich, also wir alle, unfreiwillig beim täglichen Einkauf für zu hohe, geschützte Verkaufspreise im Supermarkt hinblättern. Rudolf Strahm schätzt diese Produkteverteuerung durch extreme Schutzzölle auf jährlich fünf Milliarden Franken. Diese sind nur realisierbar dank abgeschotteter Grenzen im Land, das sich immer stark macht für den freien, internationalen Warenverkehr.
Dass umweltschonendere Produktion belohnt wird, ist als Fortschritt zu betrachten. Trotzdem ist das Thema Überproduktion weiterhin aktuell. Gerade feiert der berühmte „Schweinezyklus“ sein x-tes Comeback. Später dürfte es dann wieder die Milchproduktion oder die Kalbermast betreffen.
Gemeinwirtschaftliche Leistungen sind uns viel wert. Landschaftspflege und schöne Bauernhöfe dürfen etwas (an Subventionen) kosten. Zu denken geben aber nach wie vor Strukturwandel und Kostenverhältnis. Innert 100 Jahren ist der Anteil der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft von 26 auf 3 Prozent zurückgegangen. Die Siedlungsfläche Schweiz hat in 30 Jahren von 2400 km2 auf 3000 km2 zugenommen. Somit dürfte nach Adam Riese die Agrarfläche um 600 km2 abgenommen haben. Trotzdem verharren die Bundesbeiträge auf Rekordhöhen. Ein Misterium?
Money, money, money
Immer noch mehr Geld. Die Rahmenbudgets des Bundes sind das Eine, sozusagen die gut gedüngten Felder und Wiesen der Landwirtschaft. Doch jedes Jahr werden im Bundeshaus nachträglich Zusatzkredite durchgewinkt. So hat der Bauernverband in der Budgetdebatte 2015 diesen Winter erneut gepunktet: 99 Millionen zusätzlich gegenüber den Vorschlägen des Bundesrates kostet das den Steuerzahler diesmal. Eine weitere „Schnapsidee“ wurde anfangs April 2015 publik: Ein Steuerrabatt von 30 Prozent für bäuerliche Alkoholbrenner soll diesen ermöglichen, rund 10 Millionen Franken zu sparen.
Auch die längst überfällige Idee der besseren Besteuerung der Grundstückgewinne beim Verkauf von (ehemals subventioniertem) Bauernland als Bauland scheiterte einmal mehr, was Steuerausfälle von rund 200 Millionen Franken bewirken wird. Warum eigentlich?
Frankenschock
Kaum ist das Donnergrollen nach dem SNB-Entscheid verhallt, klopft der umtriebige Präsident des Bauernverbandes (SBV) schon wieder an die Bundesratstüre. „Die Bauern drohen zum Opfer der Aufhebung der Euro-Franken-Bindung zu werden!“ 115 Millionen Franken sollen es diesmal mindestens sein, primär für die Milchbauern, resp. zur Stützung der Milch verarbeitenden Exportindustrie. Was gäbe das an jener Bundesratstüre für ein Gedränge, wenn alle betroffenen Exportunternehmen die gleiche Idee hätten? Nicht auszudenken.
Nicht eitel Sonnenschein
Die bäuerliche Idylle ist nicht wolkenlos. Wegen ungebremster Anwendung von Antibiotika im Stall nimmt deren Wirkung beim Menschen immer mehr ab. Der Bundesrat ist besorgt und hat seine „Strategie Antibiotikaresistenzen“ in die Vernehmlassung geschickt. Der Hintergrund: Jährlich werden in der Schweiz über 50 (fünfzig) Tonnen Antibiotika an Tiere verabreicht. Damit können resistente Bakterien via tierische Nahrungsmittel auf Menschen übertragen werden.
Doch das Vorhaben stösst schon im Vorfeld bei den Bauern auf Widerstand. In diesem Kontext erinnern wir uns der trauten TV-Werbung „Schweizer Fleisch – alles andere ist Beilage“. Dass wir diese dreiste Kampagne zu über 50% als Konsumenten selbst zu bezahlen haben, das ginge ja noch. Insgesamt finanziert der Staat unter dem diskreten Titel „Absatzförderung“ aber jährlich Werbekampagnen aller Gattung in der Höhe von 54 Millionen Franken für Milch, Eier, Gemüse, Pflanzen.
Wachsendes Unbehagen
Obwohl also die landwirtschaftliche Fläche Jahr für Jahr abnimmt, produzieren unsere Bauern immer mehr. Es soll aber noch mehr werden: Mit ihrer 2014 eingereichten Initiative für Ernährungssicherheit (darüber wird journal21 zu einem späteren Zeitpunkt berichten), soll das Land weiter abgeschottet und der freie Markt zusätzlich eingeschränkt werden – alles zulasten der Konsumenten. Wen wundert‘s, dass die SVP im Januar 2015 schon mal präventiv den angekündigten Gegenvorschlag des Bundesrats zu dieser Initiative als „untauglich“ bezeichnet?
Wer sich fragt, wie diese Produktionssteigerung überhaupt möglich ist, entdeckt des Rätsels Lösung in der Statistik „Entwicklung der Agrarproduktion“ des Bauernverbandes selbst. Die inländische Produktion steigt, weil immer mehr Futtermittel aus dem Ausland importiert und verfüttert wird.
Walliser Bergbauern-Idylle
Am meisten Sympathien geniessen in der Bevölkerung, zu Recht, unsere Bergbauern. Ihr Alltag ist hart, ihre Leistung zum Erhalt der Berglandschaft ist gross. Umso störender ist es, wenn einige „schwarze Schafe“ im Wallis das Heidi-Bild trüben. Gerhard Schmid, Leiter des landwirtschaftlichen Meliorationsamtes des Oberwallis und Präsident des Oberwalliser Waldwirtschaftsverbandes, klagt in der NZZ: „Die Umstellung auf ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft wurde im Wallis lange Zeit nicht nur verpasst, sondern von der Regierung […] bis in die jüngste Vergangenheit sogar aktiv unterdrückt.“
Und weiter, besonders problematisch: „Sogar Betriebe, die offensichtlich Auflagen missachten, lassen sich alljährlich aus den Trögen der Direktzahlungen bei minimalem Betriebsaufwand Zehntausende von Franken überweisen.“
Innovationen statt Subventionen
Subventionen, um unsere Landwirtschaft am Leben zu erhalten, sind bis zu einem gewissen Grad am Platz. Allerdings ist der „Tipping-Point“, wo das Ganze ins Kontraproduktive kippt, längst überschritten. Mehr Wettbewerb, mehr Innovationen statt Heimatschutz würden guttun. Zwischen der abgeschotteten Binnenwirtschaft und den vitalen Exportunternehmen wird die Kluft immer grösser. Das Produktionsniveau der Landwirtschaft hält im Vergleich mit den anderen Inlandsektoren mit Abstand die rote Laterne.
Doch, statt Handelshemmnisse abzubauen, verteidigt der Bauernverband vehement sein Schweizergärtli-Denken. Die längst überfällige Ausweitung des „Cassis-de-Dijon-Prinzips“ auf importierte Lebensmittel, um deren Preisniveau zu senken, wird blockiert. Dafür ist das Lamento über den rapid zunehmenden Einkaufstourismus im grenznahen Ausland unüberhörbar.
Milchseen
Milchseen gehören zu unserem Alltag wie Kuhglocken. Allerdings kosten sie uns viel Geld. Die Überkapazitäten sind Folgen der Subventionspolitik. Gerade vor dem Hintergrund der Frankenstärke ist absehbar, dass der Produktionsrekord von 2014 dieses Jahr nochmals übertroffen werden wird. Wenn der Bauernverband jetzt nach zusätzlichen Milchexportsubventionen, zusätzlichen Direktzahlungen und Käseabsatzbeiträgen ruft: Naheliegend, einfach, doch fehl am Platz.
Der Blick über die Landesgrenzen hinaus ist aufschlussreich. Die alte Agrarpolitik der EU mit ihrer Milchquoten-Regelung läuft nach 31 Jahren aus. Beschlossen wurde dies 2003, bestätigt 2008. Man hat dort eingesehen, dass Planwirtschaft in der Agrarpolitik nicht mehr in die Gegenwart passt und immer wieder zu strukturellen Überproduktionen führt, auch zu eindrücklichen Butterbergen.
Weniger Geld statt immer mehr
Unsere Agrarpolitik läuft falsch. Viele ihrer Probleme kennen auch wir seit Jahrzehnten. Statt zu Lösungen führt das Giesskannenprinzip für Beiträge und Subventionen aller Art zum ewigen Fortbestehen des Grundproblems. Nicht mehr, sondern weniger Geld wäre zielführend.
„Geld für alles und jeden“ (Weltwoche) und „Innovationen statt Subventionen“ (Natalie Rickli), wie recht beide Urteile doch sind. Dumm nur, dass die SVP ersteres fördert und das Zweite verhindert – immer dann, wenn es um ihr Stammpublikum Bauernschaft geht.