Die EU-Kommission macht einen mutigen Schritt in die richtige Richtung: Im neuen Entwurf zur Nutzung moderner Gentech-Pflanzen werden alte Hürden abgebaut. Einige Pflanzen sollen aus dem seit 20 Jahren geltenden, strengen Regime für genetisch veränderte Pflanzen herausgenommen werden. Sie sollen konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden.
Mehr Nachhaltigkeit, weniger Pestizideinsatz
Worüber schon seit vielen Jahren diskutiert wird, soll – mit gewissen Einschränkungen – Tatsache werden. Eine neue Gentech-Generation – z.B. mittels Gen-Schere Crispr – wird es erlauben, Pflanzengut zu entwickeln, das weniger Veränderungen am Pflanzengut bewirkt als die UV-Strahlen der Sonne. Für ihre Arbeiten an der Crispr/Cas-Methode (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) wurden die beiden Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet, nachdem ihre Forschungsresultate aus dem Jahr 2012 schon 2015 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science zum Breakthrough des Jahres 2015 erklärt worden waren.
Moderne Gentech-Pflanzen wie Gentech-Weizen werden heute anders diskutiert als noch vor 15 Jahren, als in der Schweiz ein Gentech-Versuchsfeld in Zürich von Gentech-Gegnern zerstört wurde. Mit der neuen Regulierung wird beabsichtigt, dass moderne gentechnisch veränderte Pflanzen (GV-Pflanzen) zukünftig nicht mehr das zeitraubende und kostenintensive Testverfahren über sich ergehen lassen müssen. Dies hätte zur Folge, dass jene Lebens- und Futtermittel, die moderne GV-Pflanzen enthalten, nicht mehr als GV-Produkte bezeichnet werden müssten.
Hier und dort
«Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) dürfen in der Schweiz nicht angebaut werden. Das BLW überwacht den Vollzug des für die Landwirtschaft relevanten Gentechnikrechts und ist das Kompetenzzentrum des Bundes für diesen Bereich.» Dies steht schwarz auf weiss auf der Homepage des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW).
«Gentechnisch veränderte Pflanzen, vor allem Soja, Mais, Baumwolle und Raps, wachsen heute anderswo, auf weltweit etwa 190 Millionen Hektar. In den USA, in Kanada, in Brasilien, Argentinien und zunehmend in Indien. Den Ausgang dieser gigantischen Experimente seit 1995 hat gerade auch die EU bestätigt: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind für die menschliche Gesundheit nicht gefährlicher – und ungefährlicher – als konventionell gezüchtete» (Die Zeit).
Was schliessen Leserinnen und Leser aus diesen beiden Nachrichten?
Schweiz: Grenzen zu!
Unabhängig davon, wie Sie obige Frage beantworten, stellt sich die Frage, wieweit die zuständigen Behörden der Schweiz beim Abwägen der aktuellen Situation wissenschaftliche Resultate oder Agrarprotektionismus gewichten. Indem man mit einem Gentech-Moratorium (das laufende ist noch bis mindestens 2025 gültig) dafür sorgt, dass nur Schweizer Bauern für gewisse Produkte als Lieferanten infrage kommen, nehmen wir ungefragt in Kauf, dass diese als Folge davon zum Teil gegenüber dem Ausland massiv überteuert sind.
Das BLW schreibt auf seiner Homepage unter dem Titel «Grenzschutz» Folgendes über die Resultate der laufenden Evaluation dieses Grenzschutzes. «Das heutige Grenzschutzsystem trägt zwar zu stabilen und hohen inländischen Preisen bei, es führt jedoch zu Ineffizienzen, Fehlanreizen und Rentenbildungen in der Wertschöpfungskette. Die im Vergleich zum Ausland höheren Konsumentenpreise werden nur teilweise an die landwirtschaftlichen Produzenten weitergegeben. Dies zeugt von einer Ineffizienz des Systems.»
Wer das aufmerksam liest, stellt fest: «Das System trägt zu stabilen und hohen inländischen Preisen bei.» Stillschweigend wird akzeptiert, ja als selbstverständlich angenommen, dass Konsumentinnen und Konsumenten das zu berappen haben. Sozusagen als Preis dafür, dass sie «Kartoffeln, natürlich aus der Schweiz» essen dürfen. Und weiter: «Die im Vergleich zum Ausland höheren Konsumentenpreise werden nur teilweise an die landwirtschaftlichen Produzenten weitergegeben. Dies zeugt von einer Ineffizienz des Systems.» Dies ist eine verkappte Schelte an den Detailhandel (vor allem Migros und Coop).
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie das BLW auf die Grenzöffnungen infolge der gentechnischen Revolution im EU-Raum reagieren wird. Auch wenn die Herausforderung erst 2025 akut wird …
Zeitgemässe Innovationen gegen konservative Ablehnung
Falls dieser Entwurf in der EU durchkommt, können wir gespannt sein, welche Folgen dies haben wird. Es darf erwartet werden, dass die Verfahren dann günstiger und deshalb auch von kleineren Firmen durchgeführt werden könnten. Dies wiederum würde den Anwendungsbereich – bisher vor allem im Interesse von Grosskonzernen – ausweiten, zum Beispiel mit Fokus auf den Naturschutz und die Landwirtschaft. «Der Entwurf könnte, sollte er sich weitgehend unverändert durchsetzen, zum grossen Wurf werden», schreibt die NZZ.
In der Schweiz ist das Misstrauen gegen genmanipulierte Pflanzen traditionell sehr hoch. Dies ist vor allem der einseitigen Propaganda der Gentech-Gegner zuzuschreiben. Wider besseres Wissen (siehe Situation im Ausland) wird behauptet, die Gefahren wären viel zu gross, der Nutzen zu klein. Kleingeredet werden dagegen die offensichtlichen Nutzen: Höhere Erträge wären erzielbar, Sorten könnten gezüchtet werden, die gegenüber den Folgen der Klimaerwärmung resistenter wären (sie kämen mit weniger Wasser aus), und ganz generell würde der Einsatz von Pestiziden spürbar reduziert.
Wie erwartet, melden sich schon im Vorfeld der Diskussion die Gegner zu Wort. «Mit Gentech-Arten ist es noch verreckter als mit Pestiziden. Sie lassen sich nicht lokal einschränken», sagt zum Beispiel Martin Bossard von Bio Suisse im Tages-Anzeiger. «Das kommt für uns absolut nicht in Frage», ist seine Überzeugung. Gleichzeitig vermutet er, dass – wenn die Pläne der EU Tatsache werden – die Schweiz dann wohl nicht abseitsstehen könnte. Auch die Allianz Gentechfrei hat schon mal – publikumswirksam – ihre Kampagne «Keine Gentechnik in unserem Essen und in unserer Umwelt» lanciert.
Meine Meinung: Natürlich kann man sich jeglichem Fortschritt verweigern, bevor man überhaupt genaue Kenntnis davon hat, was neu ist, doch man geht langfristig das Risiko ein, den Anschluss an die neue Zeit zu verlieren. Das 19. Jahrhundert ist auch in der Landwirtschaft Vergangenheit.