Wir leben in einer merkwürdigen Zeit. Banken krachen, Versicherungen gehen Pleite, weltweit. Aus dem amerikanischen Hypothekentraum entwickelt sich ein globales Desaster. Die wirtschaftlichen und politischen Eliten sagen: Niemand konnte das voraussehen. Niemand? Welche Menschen gehören zu niemand?
Jedenfalls gibt es nachdenkliche Menschen, welche die letzten zwanzig Jahre aufmerksam beobachtet haben und aus dem Staunen nicht herauskamen. Zwar hatte "unser" System das kommunistische besiegt. Doch damit einher ging eine andere Verwirrung: Es entwickelte sich ein neuer Menschentyp, derjenige des ökonomischen Übermenschen. Diese Herren – es gibt tatsächlich keine Damen – sind über uns normalen Sterblichen hinausgewachsen. Zumindest, was ihr Verständnis von Geld, Macht und Grösse betrifft.
Sie haben die Konzerngewinne und Eigenkapitalrenditen in immer neue Höhen getrieben. Sie haben eine neue Dimension finanzieller Optionen erschlossen. "Der Tanz um das goldene Kalb" wurde neu aufgelegt. Reichtum, Pracht und Überheblichkeit mutierte zum Credo. Andere meinten: zum Götzenbild. In diesem Zusammenhang und "den immer neuen Höhen" drängt sich allerdings auch ein andere, noch ältere Unheilsgeschichte aus dem kollektiven Bewusstsein in die Tagesaktualität: Der Turmbau zu Babel.
Die Sprachverwirrung, von der wir im Alten Testament lesen, wird üblicherweise als Strafaktion des "Herrn" gedeutet, als Strafe insofern, als die Folgen von Grenzverletzungen auf die Menschen zurück fallen. Dessen Streben zum (finanziellen) Olymp, den unstillbaren Machbarkeitswahn. Es empfand sich – um in die Gegenwart zurückzukehren - tatsächlich eine ganze Menschengruppe als allmächtig. Sie streute uns Sand in die Augen und dafür sind wir letztlich selber Schuld. Doch das auf Sand errichtete Gebäude der Rating-Agenturen pries in hohen AAA-Tönen den Wert der Papiere. In der Volksetymologie wird Babel als "Geplapper" gedeutet.
Hoch, höher, am Höchsten ist verwandt mit gross, grösser, am Grössten. Dies charakterisiert nicht nur einen Menschenschlag und dessen persönlichen Ziele, sondern eine ökonomische, zeitgemässe Devise, die viel zu wenig hinterfragt wird. Grösser, mächtiger, mehr Gewinn. Der heutige Grössen-Wahn, getrieben von der Globalisierung, ist mit der Endlichkeit der Erde nur schwerlich kompatibel. Darüber wollen wir nicht streiten. Doch die Krise ist durchaus als Ende einer Epoche wahrzunehmen.