Die politische Mitte kann wohl kaum als Zentrum spektakulärer schweizerischer Entscheidungsfindung bezeichnet werden. Allerdings sind dafür mehrere Gründe verantwortlich. Und wie so oft, kumulieren sich diese am Ende zu einer Art unheiligen Allianz, die verhindert, dass der Wert des goldenen Mittelwegs sichtbar wird. So wird die Mitte unter ihrem Wert geschlagen und wer verliert, ist immer auch selber mitschuldig. Doch wie setzt sich die lautstarke Gegnerschaft eigentlich zusammen?
Die unüberhörbarste Diskreditierung ist machtpolitisch motiviert, eine schweizerische Spezialität, leicht durchschaubar und kommt – als schlecht verkappter Eigennutz – von den radikal rechten und linken Polen des Politspektrums. Als „Wischiwaschi-Club“ verhöhnt, soll versucht werden, die Mittekraft zu schwächen. Für das einfache Weltbild der unversöhnlichen rechtsaussenkonservativen Mannen und Frauen ist eine differenzierte Sachpolitik seit jeher unheimlich. Für die lärmenden linksgewerkschaftlichen Genossen ist nur schon das Wort Markt eine Kampfansage, der am besten mit Streikparolen begegnet wird.
Dass die politische Mitte gelegentlich überhört wird, dafür gibt es eine zweite wichtige Ursache, eine internationale. Die verschärfte Abgrenzung der eigenen Überzeugung (Doktrin), die starke Polarisierung, fördert den Kampf zwischen den An- und Einsichten wichtiger politischer Grössen. Die damit erzeugte Medienpräsenz – Spektakel statt Substanz – ist gewaltig, vertieft aber gleichzeitig die Weltanschauungen und birgt die Gefahr, in Ideologien abzuschweifen. Jeder glaubt sich bemüssigt, die anderen „bekämpfen“ zu müssen und diese gefährliche Schützengraben-Mentalität ist eigentlich ein Kriegsrelikt. Sie ist purer Dualismus: einfältiges Schwarz/weiss-Bild, ideologisch verbohrte Freund/Feind-Weltanschauung, grossmauliges Richtig/falsch-Urteil; kurz, man kämpft gegen Personen statt für Lösungen. Aktuellstes Beispiel im Frühling 2009: In den USA sind die frustrierten Republikaner „aus Prinzip“ gegen alle Vorschläge aus Obamas White-House-Office. Dieser versucht unermüdlich, Partei-übergreifende Programme zu realisieren – klassische Mitte-Lösungen.
Ein dritter Grund für die undankbare, unspektakuläre Mitteposition auf der politischen Schaubühne ist der schwierige Anspruch der ganzheitlichen Problem-Analyse. Indem man sich medienwirksam mit kleinen Einzelteilen befasst und dabei das grosse, umfassende und sinnstiftende Ganze ignoriert, verfehlt man aber die tragfähigen Lösungen. Mit lautem Poltern, wildem Gestikulieren oder giftigem Kritisieren erntet man Aufmerksamkeit – nicht mit bescheidenem, sachlichem Auftreten. Breit akzeptierte Lösungen sind eben Kompromisse und manchmal unvermeidlich, will man überhaupt erstere. Doch gerade das wollen viele gar nicht. Da sind wir mitten im Feld des Lobbying, der Ideologien, des Verteidigen eines momentanen Zustands, der einer kleinen Gruppe von Anhängern Vorteile bietet zulasten der grossen Mehrheit. (Lesen Sie: durchschaut! Nr. 9 vom 5. Juli 2009).
Wer sich in Zeiten der Krise fragt, warum die Politik Mühe bekundet, Wege aus dem Schlamassel aufzuzeigen, sollte immer bedenken, dass das lautstarke Fordern, das gnadenlose Kritisieren, das vorwurfsvoll auf die Schuldigen Zeigen, das kleinliche Aufrechnen von Fehlern (beim politischen Gegner) nicht der ganzheitlichen Problemlösung dient, sondern der egoistischen Eigenprofilierung.
Die zu oft schweigende Mehrheit in der Mitte zwischen den extremen Polen muss sich lauter vernehmen lassen. Die goldenen, wohl abgewogenen Mittelwege bewähren sich. Jean-Claude Juncker, geschätzter Premierminister des kleinen Luxemburg und Freund der Schweiz hat das so formuliert: «Macht man Politik nah an der Mitte, regiert man aus dem Grundgefühl, praktische Politik zu gestalten, die auf Dauer Bestand hat. Nun ist es einfacher, extreme Positionen zu artikulieren, sie zu besetzen, sie verständlich zu machen. (…) Wie immer haben die Miesmacher die Auseinandersetzung gewonnen, haben diejenigen gewonnen, die wie so oft Extrempositionen beschreiben und Extrempositionen sind immer Positionen der Angstmacherei.»
Aristoteles plädierte vor 2500 Jahren für die goldene Mitte zwischen falschen Extremen.