Das Thema Lobbying ist eigentlich ein Dauerbrenner. Allerdings unterliegt er sprachlichem Wandel. Am einfachsten war es vor langer Zeit für die historischen Zünfte, die das Geschehen im Markt in Personalunion regelten. Erst viel später, im 19. Jahrhundert, entstanden Verbände, deren Interessen gegenüber den politischen Parteien und Parlamenten durch Verbandsexponenten nachdrücklich unterlegt wurden. Zeitweise sprach man von „Stellvertretern des Staates“, was auf erfolgreiche Interventionstätigkeit schliessen lässt. Heute nennen wir sie schlicht Lobbyisten.
Lobbying: Im Interessen des Volkes, der Politik, der Wirtschaft?
Vom Verfassungsrechtler Hans Huber stammt der wenig schmeichelhafte Begriff „Vermachtung des Staats durch die Verbände“ (1958). Max Weber definierte die Macht der Verbände 1976, in dem er ihnen das Talent „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchsetzen“ attestierte. In „Wer regiert die Schweiz?“ von Hans Tschäni (1983) ist alles klar: Eine Machtelite von Verbands- und Regierungsvertretern steht für die eigentlichen Regierenden.
Wolf Linder sah zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Grundmuster der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat realistisch: „Verbände suchen die Mithilfe des Staates für die Realisierung ihrer Interessen, die ihre eigentlichen Fähigkeiten übersteigen. Der Staat anerkennt andererseits einen Teil dieser Forderungen als öffentliches Interesse.“ Somit alles klar, oder doch nicht?
Weltweiter Trend
Zu wessen Wohl Lobbyisten wirken, beantworten diese am liebsten selbst. Sie arbeiten zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger. Und für eine florierende Wirtschaft, die Jobs schafft. Damit sind nun allerdings nicht alle einverstanden. Seit der weltweiten Finanzkrise 2008 mit ihren ausserordentlichen Auswirkungen in praktisch allen Ländern und Branchen realisieren viele Menschen die Schattenseiten des Selbstlobs. Stellvertretend steht im Eye Opener „Des Bankers neue Kleider“ (2013): „Obwohl die Schäden sehr gross waren, sind Bemühungen um eine ernsthafte Reform der Bankenregulierung gescheitert – zu Fall gebracht von einseitiger Lobbyarbeit und Irreführung.“
Weltweit gibt es immer mehr Lobbyisten. Sie repräsentieren Partikularinteressen. Sie verfügen oft über fast unlimitierte Geldquellen (z.B. Ölindustrie in den USA). Sie sind eigentliche Machtzentren.
The American Way of Lobbying
Lobbyarbeit ist in den USA als free speech durch die Verfassung garantiert und geschützt. In den letzten 50 Jahren sind Anzahl der Lobbyisten und Lobbying-Budgets mit atemraubender Geschwindigkeit gewachsen. Die Kritik an dieser Entwicklung steigt. Es sollen heute 12‘281 registrierte Lobbyisten im Kongress in Washington ein- und ausgehen.
Der Politjournalist George Packer zeichnet ein düsteres Bild der USA. Er schreibt: Heute treffen sich in Washington mehr Lobbyisten als Politiker. Und der Analyst James Thurber legt da noch nach. Die Lobbyarbeit in den USA geht immer mehr underground. Er schätzt die Anzahl aktiver Lobbyisten auf 100‘000, finanziert durch die Industrie mit 9 Milliarden $ jährlich.
„Europas Strippenzieher“
In ihrem hochinteressanten Buch zeigen die Autoren Gammelin/Löw u.a. auf, wie die Europäische Kommission zum Einfallstor für Lobbyisten wird oder sich z.B. die Tabakindustrie das Wohlwollen der Mitgliedstaaten erkauft. 8000 Lobbyorganisationen machen die europäische Hauptstadt zur Nummer zwei unter den weltweit führenden Lobbyplätzen (hinter Washington D.C.). So machen allein 700 Finanzlobbyisten mit einem Jahresbudget von 350 Millionen € ihren Einfluss auf die europäische Gesetzgebung geltend.
Allerdings relativieren die Autoren maliziös: Nicht die Wirtschaftsvertreter sind die mächtigsten Lobbyisten in Brüssel. Die wohl höchste Form der politischen Interessenvertretung wird durch die Staats- und Regierungschefs ausgeübt. Wenn diese persönlich dafür Sorge tragen, dass europäische Gesetze nationale Konzerne nicht in die Bredouille bringen. Auch Angela Merkel ist erfolgreich dabei, ihre Macht im Sinne deutscher Autokonzerne einzusetzen…
Schweiz: Lobbying durch die Hintertür
So titelte die NZZ im März 2014 ihren erhellenden Beitrag, wie sich die Interessenvertreter Zugang zum Bundeshaus schaffen. Diese sind grösstenteils als Gäste oder persönliche Mitarbeiter deklariert. Ihre Interessen sind nirgends gemeldet. Als „grossen Badge-Basar“ wird auf der gleichen Seite das Zutrittsprozedere durchleuchtet. Das Resümee: Sämtliche Versuche, am System der Vergabe von Gästeausweisen etwas zu ändern, sind gescheitert.
Im Zeitalter steigender Transparenz (das Publikum wird hellhörig) sind die Regeln des Zutritts für Lobbyisten im Bundeshaus noch immer durch eine umfassende Intransparenz gezeichnet. Immerhin lässt sich ungefähr nachverfolgen, dass die Bau- und Immobilienbranche mit 44 Badgeinhabern die Rangliste anführt, gefolgt von den Wirtschaftsdachverbänden, der Industrie und Energie, der Hilfswerke und NGO und dem Gesundheitssektor. Auf immerhin 23 bringt es die Landwirtschaft, doch die kann ja auf einen weit überdurchschnittlichen Bestand an aktiven Parlamentariern zählen.
Natürlich gehört Lobbying zur Demokratie. Doch, statt dem zeitgemässem Verständnis, dem Gebot der Transparenz Rechnung zu tragen und mehr Licht ins Dunkle zu bringen – wehrt sich vor der Ständerat dagegen, nicht überraschenderweise.
Warum die Geheimnistuerei?
Mündige Bürgerinnen und Bürger möchten wissen, was hinter den Kulissen der politischen Meinungsbildung abläuft und wie sie diskret in die richtige Bahn gelenkt wird. Gerade in der hochgelobten direkten Demokratie müssen die Einflussmöglichkeiten von Interessenverbänden und schwerreichen Personen sichtbar sein. Vorbei sind die Zeiten, da hinter vorgehaltener Hand nur gemunkelt wurde. Soll die Schweiz nicht zu einer Verbandsdemokratie oder einem Exerzierplatz für Superreiche verkommen, sind klare Transparenzvorschriften überfällig. Längst ist erkannt, dass auch Milliardäre erfolgreiche Lobbyisten in eigener Sache sind.
Im Dunstkreis der Pharmalobbyisten
Als „Rosenkrieg“ wird der erbitterte Kampf der Apotheker und Drogisten gegen den Online-Versandhandel der Zur Rose Gruppe auch genannt. Konzentriertem Lobbying ist es z.B. gelungen, den Online-Verkauf rezeptfreier Medikamente – einem Markt von 1,2 Milliarden jährlich – stark einzuschränken („Lex Rose“). Mündige Konsumentinnen und Konsumenten staunen nicht schlecht. Obwohl ein Medikament nicht rezeptpflichtig ist, erfordert es für den billigeren Kauf via Internet eine Verschreibung des Arztes, deckte der TA im April 2014 auf. Die involvierte Politikerin sitzt in der Gesundheitskommission, ihr Gatte ist der Präsident des Zürcher Apothekerverbands.
Lobbying gegen Finanzdienstleistungsgesetz
Während Bankenvertreter öffentlich kundtun, ein neues Gesetz (Fidleg), das den Anlegerschutz besser regle, sei zu begrüssen, lobbyiert die Branche hinter den Kulissen immer vehementer dagegen. Staunend vernehmen etwa die Tausenden von Geprellten, die grosse Summen in der Lehman Brothers Pleite verloren haben, dass der Direktor des Verbands Schweizerischer Kantonalbanken der Meinung ist, dass damit ohne Not ein gut funktionierendes Schweizer Rechtssystem untergraben würde. „Gut funktionierend“, in wessen Interessen?
Economiesuisse gegen grüne Wirtschaft
Auch unter neuer Leitung wettert Economiesuisse gegen die breit abgestützte Idee, unsere Wirtschaft grüner zu machen. Längst ist es nachdenklichen Menschen weltweit klar geworden, dass vermehrte ökologische und nachhaltige Ausrichtung in vielen Industriezweigen eigentliche Wachstumschancen und neue Absatzmärkte generiert (der Aspekt Erderwärmung wäre schon allein Motivation genug). Swisscleantech steht für diese Einsicht – Economiesuisse versucht mit allen Mitteln, die Initiative zu versenken.
Wer scheut das Licht in der Dunkelkammer?
Mit neuen Standesregeln möchte die Schweizerische Public-Affairs-Gesellschaft eine Verschärfung der Transparenzrichtlinien erreichen. Lobbyisten sollen gezwungen werden, ihre Mandate offenzulegen. Doch die Staatspolitische Kommission des Nationalrats ist weiterhin gegen ein zeitgemässes Akkreditierungssystem, also gegen mehr Transparenz.
Erhellend – um beim Begriff Dunkelkammer zu bleiben – ist die Reaktion einiger PR-Leute, Mitglieder dieses oben genannten Verbands. Ihnen missfällt der Versuch, mehr Licht ins Dunkel der Wandelhalle zu bringen. Sie drohen mit dem Austritt aus dem Verband. Allen voran der SVP-Politiker Gregor Rutz.
Die Beeinflussung von Abgeordneten oder anderen Vertreterinnen und Vertretern offizieller Stellen durch Interessengruppen ist nicht verboten. Allerdings beobachten interessierte Menschen diese Aktivitäten im 21. Jahrhundert kritisch und etwas kompetenter als früher. Sie möchten hinter die Kulissen sehen. Warum scheuen gewisse Kreise diese Transparenz wie der Teufel das Weihwasser?