Mit der rechtsnationalen Forderung "Das Volk hat immer Recht" und der damit einhergehenden expliziten Unterordnung von Rechtsstaat und Justiz wird Feuer an die Lunte gelegt, die dereinst eine Brandkatastrophe auslösen könnte. Rechtsstaat und Justiz garantieren des Schweizers höchstes Gut: unsere Freiheit. Die SVP wird somit zum Totengräber ihrer eigenen Ideologie. Mit der schrillen Forderung aus der Parteizentrale des "Volkes" wird kräftig ins noch kleine, harmlose Feuerchen des Glimmbrandes zwischen Rechtsstaat und Demokratie geblasen. Wer mutwillig an Menschenrechten rüttelt, nimmt in Kauf, der Anarchie Vorschub zu leisten.
Hetzerische Propaganda gegen die Regierung hinterlässt bei allen Menschen, deren Gedächtnis noch bis in die Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückgeht, einen schalen Nachgeschmack. Da sollten eigentlich die Alarmglocken zu läuten beginnen. "Wehret den Anfängen!" rieten unsere Väter und Grossväter. Sie meinten damit, dass wir rechtzeitig jener "klassenübergreifenden Massenbewegung widerstehen sollten, die sich als Vollstrecker einer Mission der nationalen Erneuerung sehen." Auch die (treuherzige oder perfide) Idee, die eigene Nation zu verherrlichen und das Bild dieser Erleuchtung in die Aussenwelt (EU, Islam) zu exportieren erinnert in fataler Weise an "das hatten wir doch alles schon mal" – jenen grössenwahnsinnigen Anspruch, die eigene Gemeinschaft vor "andersartigen" Kräften, die sie bedrohen, zu reinigen.
Nun gibt es nachdenkliche Schweizerinnen und Schweizer, die alarmiert sind. Sie wollen diesem ungemütlichen Trend, der alten, gutschweizerischen Tugenden zuwider läuft, entgegen setzen. Schon werden auch diese Stimmen vom grossen Vordenker verunglimpft: "Eine so diktatorische Reaktion der Classe politique versuche, das Volk auszutricksen." Ja, noch besser: "Weil man in die EU will, kann man die direkte Demokratie nicht gebrauchen." Wieder diese alte Leier von diktatorisch, fremde Richter, den Volkswillen missachtend. Vielleicht erinnern wir uns jetzt langsam der wichtigsten Lehren, die wir aus Kriegen der letzten beiden Jahrhunderte gezogen haben: Der Kern der Menschenrechte, der kein Staat einschränken darf, ist auch das Fundament, auf dem die Schweiz ruht.
Unterdessen gehen die Weisheiten des Alt-Bundesrates weiter. "Das Bundesgericht (unsere oberste Instanz) ist nicht die Inkarnation reiner Rechtssprechung und der Fehlerlosigkeit" und "… die Bevölkerung will diese Unabhängigkeit." Da stellt sich nun doch langsam die Frage, für welches Volk da gesprochen wird – jedenfalls nicht für mich, meine Familie, mein Umfeld. Gehören wir nicht mehr zum Volk oder verstehen wir die Welt nicht mehr?
Wer diese Zeilen bis hierher gelesen hat, sollte aufstehen und schon morgen in seinem persönlichen Umfeld die Diskussion suchen. "Wir lassen uns das nicht mehr länger bieten – die Grenzen der Erträglichkeit sind überschritten!" Wir wollen nicht von Volksaufhetzern mental ins neue Jahr geführt werden. Wir haben keine Angst vor dem Fremden. Wir vertrauen auf unsere leise, aber unbestechliche Urteilskraft. Nicht im verklärten, konservativen Zerrbild des Sonderfalls hinter den Alpen sehen wir unsere Zukunft, sondern im liberalen Kleinstaat im Herzen Europas. Geachtet und geschätzt von unseren Nachbarn im Global Village.