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Vorwort
Die beiden Büchlein des deutsch-französischen Lyrikers, Essayisten und politischen Aktivisten Stéphane Hessel (1917–2013) haben mich in höchstem Masse beeindruckt. In «Empört euch!», 2010 verlegt, wendet er, der das KZ überlebt hatte, sich an «die Nachkommenden, um sie teilhaben zu lassen an der Erfahrung, aus der mein politisches Engagement erwachsen ist». 2 Er übt scharfe Kritik an der aktuellen politischen Entwicklung und ruft zum Widerstand auf.
Ein Jahr später folgte «Engagiert euch!». Darin fordert Hessel zum Engagement für eine bessere Welt auf. Unter anderem ist es die Zerstörung der Umwelt, die ihn beschäftigt. «Eine komplexer gewordene Welt erfordert komplexe Strategien. Widerstand darf aber nicht nur im Kopf beginnen. Wir müssen handeln, und zwar mit den Mitteln der Demokratie» 3, ruft er uns zu.
Ein rundes Jahrzehnt später ist dem nichts beizufügen. Im wahrsten Sinne «brandaktuell» sind die kriegerischen Ereignisse in Europa sowie die Auseinandersetzungen um die Neutralität und zukünftige politische Entwicklung der Schweiz. Auch die Klimaerwärmung und die Zerstörung der Umwelt treiben uns um. Deshalb habe ich dieses kleine Booklet geschrieben, vor allem, aber nicht nur, an die Generationen der nach 1960 Geborenen gerichtet.
Die dunklen Orkanwolken, die sich in der Nacht des 24. Februar 2022 über Europa legten, kümmerten sich keinen Deut um die Grenzen unseres Landes. Plötzlich waren wir Teil einer unfassbaren Bedrohung. Die Ukraine, das gewaltige Land mit seinen 40 Millionen Menschen, wurde Opfer der russischen Aggression, eines von Wladimir Putin befohlenen Krieges – brutal, unmenschlich –, etwas, das viele von uns für unmöglich gehalten hatten.
Die sofortige Reaktion der westlichen Kooperationen der Europäischen Union (EU) und des Transatlantischen Bündnisses (NATO – «North Atlantic Treaty Organization ») überraschte. Einstimmig beschlossen die Verantwortlichen Gegenmassnahmen. Die Schweiz ist weder EU- noch NATO-Mitglied. Sie ist 15-mal kleiner als die Ukraine, hierzulande leben 8,6 Millionen Menschen.
Der von langer Hand vorbereitete Überfall auf ein Land, das aus freien Stücken beschlossen hatte, sich vom autoritären Staatswesen weg- und dem demokratischen zuzuwenden, wirkte schockartig auf Schweizerinnen und Schweizer. Eine grosse Mehrheit von ihnen wurde sich stärker denn je bewusst, dass die Illusion des nationalen Alleingangs geplatzt war. Unvermittelt sind politische Themen wie eine verstärkte Kooperation mit der EU und allenfalls der NATO nicht mehr tabu.
Europaweit ist jetzt von Zeitenwende die Rede. Im Herzen Europas, der Schweiz, bedeutet das Mentalitätswandel. Wir gehören zu Europa. Wir sind eine westeuropäische Demokratie, sogar die älteste. Auf uns allein gestellt, hätten wir keine Chance, uns gegen einen Aggressor zu wehren.
Jetzt plötzlich wird den Tatsachen des globalisierten Zeitalters des 21. Jahrhunderts ins Auge geschaut. Nun gilt es, wahrhaftig integrativ zu handeln: Ob kriegerische Bedrohung oder globale Klimaerwärmung – gegenseitige Unterstützung sollte heute grossräumiger gedacht werden. Die Schweiz muss sich öffnen und echte Partnerschaften mit seinen europäischen Nachbarn gestalten.
Die Chancen einer Öffnung der Schweiz werden diskutiert. Erleben wir die Geburtsstunde der offenen Schweiz?
Der Fokus meiner Betrachtungen gilt den Auftritten eines selbstbewussten Strategen und seiner Gefolgsleute, die zwischen 1992 und 2022 Helvetien polarisierten und damit blockierten. Gemeint ist die SVP. Die eigentliche Spaltung des Landes ist auch die Folge des falschen und oftmals hilflosen Reagierens anderer politischer Parteien. Dadurch entwickelten sich nicht selten aus belanglosen Kleinigkeiten mediale «Hypes». Die Fronten verhärteten sich kontinuierlich. Der Ton wurde aggressiver und weniger sachlich.
Der Populismus ist weltweit auf dem Vormarsch. Darin sehe ich eine latente Gefahr. Der Fokus auf dieses Thema setzt ein Interesse für das schweizerische föderale politische System und ein persönliches Engagement und Handeln gegen die aktuelle Reformunfähigkeit voraus. Damit die weltweit einzigartigen Besonderheiten unserer Demokratie gestärkt werden, braucht es Kompromissbereitschaft, gegenseitiges Verständnis und zielführende Versöhnung.
Was erwartet Sie auf den folgenden Seiten? Im einführenden, ersten Kapitel werde ich das Ende der westlichen Illusionen näher diskutieren. Es folgt eine kurze Übersicht über die Ideologie des Kampfes/Krieges und jene der versöhnlichen Kooperationen. Anschliessend werden die Situation in Russland und die Unterschiede zweier Weltbilder thematisiert. Liberalismus und Demokratie, die wir hochhalten müssen, und das weltweite Aufkommen des Autoritarismus werden ebenso angesprochen.
Im zweiten Teil wende ich mich unserer Schweiz zu. Ich durchleuchte 30 Jahre gesellschaftlicher und politischer Orientierungslosigkeit – Jahre der Spaltung und Blockierung unseres Landes. Klar und deutlich lege ich den Fokus auf den Populismus mit seinen undemokratischen Folgen. Corona und das Debakel unserer Zusammenarbeit mit der EU werden thematisiert.
Im dritten Teil – dem optimistischen Ausblick in die Zukunft – zeichne ich die am Horizont sichtbaren Veränderungen der politischen Schweiz nach: Verschiebung der Parteienstärken, Erfolg parteiübergreifender Kooperationen, Reform der föderalistischen Strukturen.
Das gewandelte Bild einer Schweiz als offene, zukunftsoptimierte, liberale Kraft prägt diesen Zukunftsentwurf.